Mut zur Lücke

Beate García

von Beate García

Story

Seit einigen Monaten fehlt mir ein Mahlzahn, rechts unten der. Er quälte mich über viele Jahre. Er malträtierte mich bis es unerträglich geworden war. Zeit sich zu trennen! Definitiv an der Zeit diesen Störenfried aus meinem Leben zu reißen. Der Moment war gekommen. Glasklar und unaufhaltsam war die Entscheidung da. Keine faulen Kompromisse mehr, keine kurzfristigen Überbrückungen-es gab keinen Grund mehr diesen Quälgeist krampfhaft zu erhalten.

Zu lange ließ ich mich auf diese toxische Beziehung mit diesem mahlenden Zahn ein. Er vergiftete zusehends unsere physische Symbiose. Damit war nun ein für allemal Schluss! Ich stehe zu meiner neuen Lücke-in meinem Zahngefüge und meinem Lebens-Lauf.

Endlich, endlich traute ich mich, trennte mich. Klare Schnitte waren unentbehrlich, (über)lebenswichtig. Es schmerzte, tat verdammt weh, verheilt zusehends und ist mit viel Glück irgendwann, wenn schon nie ganz vergessen, nur noch ein schemenhaftes Bild des vergangenen Unheils. Eine kleine Narbe, die manchmal noch daran erinnert – das darf sein. Vergeben ist nicht vergessen und Unrecht war Unrecht.

Dunkle Täler voller Schatten, angsterfüllte Tage und Nächte zehrten an meinen Kräften, nagten an meinem Mut, ließen mich zweifeln jemals wieder ein Licht zu sehen. Ausgelöst durch verblüffend ehrliche Spiegel, die sich zu vervielfältigen schienen, solange die ureigenste friedvolle Ordnung nicht wiederhergestellt war.

Die Irrwege bis dahin waren bislang sehr schmerzhaft, brachten mich zu Fall und wieder und nochmals bis zu dem Punkt, dem einen wichtigen Ereignis, das mir plötzlich den einzig richtigen Weg wies.

In diesem einen Moment wird dir klar und zwar kristallklar, was du zu tun oder zu lassen hast. Es fällt dir wie Schuppen von den Augen und du weißt von einer Minute auf die andere, dass JETZT der Zeitpunkt ist loszulassen. Auch wenn es dein eigener Vater ist. Ein Mann mit Maske. Mit charmant-humorvoller Fassade für sein öffentliches Publikum. Und seinem wahren Gesicht, einer Fratze, für die ungeliebte Familie. Vierzig lange Jahre erduldet man, lässt sich erniedrigen, sucht Kontakt, schreit nach Liebe, lechzt nach Anerkennung, bettelt in aller Stille so sein zu dürfen, wie man ist und wird doch nur übersehen, vergessen, belogen, mies behandelt und beschimpft.

Bis du erkennst: JETZT ist SCHLUSS damit. JETZT entscheide ich. JETZT ist Zeit zu gehen. Ich überlasse ihn, ganz auf sich allein gestellt, seinem selbst inszenierten Schlachtfeld. Jetzt fehlt ihm der Gegner. Er darf seine Kämpfe mit sich austragen. Schön, denn er ist sich selbst ohnehin der stärkste Gegner.

Ich bin dann mal weg…auf dem Weg zu mir selbst, zur Freiheit, zur Liebe und hinein in die Freude, in ein volles Leben mit Mut zur Lücke!

© Beate García 2020-06-14