Mutter kriegt einen Spielkameraden f. mich

P-Hildegardsen

von P-Hildegardsen

Story

Ich war fünf, als meine Mutter wieder schwanger war. Zwar kann ich mich nicht mehr genau erinnern, wie man mir den Familienzuwachs beigebracht hatte, aber ich weiß, daß ich mich auf einen Spielkameraden freute. Natürlich nichtsahnend, daß das Ding, das aus Mamas Bauch kommen soll – nicht gleich mit mir in der Sandkiste hocken würde. Weil mein Vater beruflich mitunter auch nachts nicht zuhause war, durfte ich dann bei Mama schlafen. Durfte den sich bewegenden Bauch berühren und war voller Freude auf die kommenden Zeiten.

Mit der Geburt meines Bruders änderte sich das Wohlgefühl schlagartig. Mama kam mit einem weißen Stoffbündel vom Spital nach Hause. Man legte das Ding aufs große Ehebett und das Szenario bestand aus einer glücklich lächelnden Mutter, einem stolzen Vater und meiner Oma (Vaters Mutter), die ganz aus dem Häuschen war, weil endlich unter den Enkerln ein Stammhalter war. Auf mich schien man irgendwie vergessen zu haben. Also kämpfte ich mich zwischen den Beinen durch, um dieses Ding auch mal näher sehen zu können. Enttäuschend. Viel weißer Stoff (damals gab es noch diese Wickelpolster) und darin ein kleiner krebsroter Kopf, der aus vollster Lunge brüllte.

Nun gut, ich war vorbereitet und tat meine Meinung kund: er kriegt Zähne! Worauf ich mit wenig liebenswürdigen Bemerkungen weggeschickt wurde. Das war so ein tiefes Gefühl von Nichtbeachtetwerden, Nichternstgenommenwerden – meine bisherige Welt als Einzelkind war mit einem Schlag zerbrochen. Also habe ich mich auf dem Dachboden verkrochen; dort hatte ich bekanntermaßen immer Angst. Doch es hat mich niemand gesucht. Ich bin stundenlang niemandem abgegangen. Und daß ich mich auf einen „Angstplatz“ verzupft hatte, tangierte niemanden – nur mich.

An diesem Tag wußte ich noch nicht, daß mit dem Einzug meines Bruders in „mein Zuhause“ auch meine Kindheit vorbei sein würde. Fortan mußte ich auf ihn aufpassen, ihm hundertemale seinen weggeworfenen Schnuller wieder in den Mund stecken, melden wenn er sein Flascherl brauchte usw. Natürlich habe ich später versucht, meinem Bruder eine gute große Schwester zu sein. Ich habe ihm bald gezeigt, wie er sein Gitterbett verlassen kann, wie er aus der hölzernen Gehschule raus krabbeln muß. Alles, was ich früher ganz alleine lernen mußte, bekam mein Bruder sozusagen frei Haus geliefert. Spieltechnisch hatte er eher andere Interessen als ich und unsere Eltern ließen oft verlauten, wie anders wir beide doch wären. Bei mir kams immer als Kritik an mir an. Aber Mädchen galten zuhause ohnehin nicht viel. Trotzdem habe ich meinen Bruder geliebt und war bereit, ihn gegen alle und alles zu verteidigen. Daß ich mich als sechs Jahre Ältere in der Pubertät lieber mit Gleichaltrigen zusammengetan habe und er immer nur ein – von den Eltern angeschafftes – Anhängsel war, hat weder meinem Bruder noch mir gut getan. Daran hatten wir beide als Erwachsene noch zu knabbern.

© P-Hildegardsen 2019-05-12

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