von WaBro
Mutter Natur, ich bin traurig. „Wichtig ist, dass es mir gut geht – hinter mir die Sintflut.“ Wie oft habe ich in Zornesröte diese Einstellung zwischen den gesagten Zeilen meines Gegenübers gelesen. Wie oft die Machtlosigkeit gespürt, die unweigerlich einhergeht mit dieser Geisteshaltung, die unverblümt und doch wie blind das Wesentliche übersieht. Oft sind jene, die Derartiges verlauten, auch jene, die Einfluss nehmen und die gesellschaftlichen Schranken mitgestalten.
Mutter Natur, warum? Es scheint mir, als verwische ein Leben im Überfluss bei vielen, die darin schwelgen, den Sinn für eine nachhaltig-vorausschauende Lebensweise. Und das, obwohl ein solches genau dies zu bieten hätte – die Möglichkeit, sich auseinanderzusetzen mit den Auswirkungen nicht-nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens. Aber je weniger wir uns mit Dir beschäftigen, je weniger wir in der Erde des Gartens wühlen, je weniger wir den Sternenhimmel betrachten, je weniger Zeit und Aufmerksamkeit wir den vielen tierischen Mitbewohnern unseres Planeten schenken, desto mehr heben wir ab in unserem Hochmut, alles besser zu machen, als es die Evolution im langsamen Fortschritt zufällig erdacht hat.
Mutter Natur, wie kann das sein? Unser Verstand verleitet uns oft dazu, in eine Realität zu flüchten, die ihm auf lange Sicht wenig zuträglich sein kann. Eine Realität des Leugnens, des Sich-Zurecht-Biegens, des Wegschauens, des Nicht-Hinterfragens, kurz: Die empfundene Notwendigkeit, den einfachen Weg zu gehen, weil dieser angenehmer erscheint.
Mutter Natur, den einfachen Weg? Trügerisch. Denn verlassen wir uns stets auf den menschlichen Erfindergeist, seine Technikaffinität, sein überlegenes Wissen über alles was da kreucht und fleucht auf dieser Welt – dann ist kein Anreiz da, das soeben gelebte Verhalten zu ändern. Kein Anreiz, die Ursachen des Klimawandels und des Artensterbens an der Wurzel zu packen, die da vor allem der Bequemlichkeit des Menschen geschuldet sind. Wer etwa großflächig Insektizide streut, kann eine tolle Ernte vorweisen. Er vernichtet dabei kleine Insekten, die niemanden kümmern. Damit vernichtet er nebenbei auch die Grundlage effizienter Bestäubung, das Futter der Vögel, und viele andere Tiere gleich mit. Und letztlich vernichtet er sich selbst, in seiner kühnen, überheblichen, unüberlegten Weisheit, alles besser zu wissen als ihm Mutter Natur im stillen Beobachten vermitteln würde.
Mutter Natur, was nun? Der Mensch sollte sich eingestehen, dass es an der Zeit ist, den materiellen Lustgewinn einzutauschen gegen jene Freiheit, die man in einer im ĂśbermaĂź sprieĂźenden, von Insekten und Lebewesen durchdrungenen Blumenwiese erleben kann. Die man in einem einfachen StĂĽck Brot und einem Apfel finden kann. Die man hoch oben am Berg ergrĂĽnden kann, wenn man dem Sonnenaufgang entgegenfiebert. Horchen wir wieder mehr in uns hinein, dort wartet Mutter Natur auf uns und unser “Warum?“.
© WaBro 2021-05-25