MutterMann

Vor zwei Jahren war das größte Geschenk unterm Christbaum nicht für eines der drei Kinder, sondern für mich. -„Mutti, mach endlich auf!“, drängte mich mein Jüngster aufgeregt. Er war der festen Überzeugung, dass das größte auch das coolste Geschenk sein musste.

Ich erinnere mich noch gut an mein flaues Gefühl im Magen als ich das Paket öffnete. Irgendwie ahnte ich, dass mich der Inhalt traurig machen würde. Und so war es auch. Geschenke können sehr verletzen, wenn sie einem das Gefühl geben, nicht wahrgenommen, nicht verstanden und geliebt zu werden. – Der sündteure, kabellose Staubsauger erfüllte alle diese Bedingungen.

An jenem Weihnachtsabend ahnte ich aber noch nicht, dass das feine neue Haushaltsgerät auch ein Abschiedsgeschenk sein sollte. Wenige Wochen später verließ mein Mann nach 20 Jahren Ehe die Familie. Er zog aus, um ein neues Leben anzufangen.

Zurück blieb ich mit drei verstörten Kindern und dem Staubsauger inmitten eines emotionalen Scherbenhaufens.

—Aus diesen Splittern und Scherben entstand ein notdürftiges Floß, auf dem wir nun auf den Ozean der Enttäuschungen hinausgespült wurden. Dieser Ozean ist unendlich groß und unendlich gefährlich: auf seinem Grund leben die Monster, denen wir sonst nur in unseren Albträumen begegnen.

Ständig in Gefahr von hohen Wellen verschluckt zu werden, hatten wir jedwede Orientierung verloren: Alle Lebensziele, die früher Fixsterne gewesen waren, waren erloschen. Der Himmel über uns war trostlos und schwarz.

Es wäre das Einfachste gewesen, aufzugeben und sich von den Strömungen in die lichtlose Tiefe hinabziehen zu lassen. Die Versuchung dazu war groß. Doch irgendwann wurde mir klar, dass mit mir auch alles, was noch von unserer Familie übrig war, für immer untergehen würde. Und das konnte und wollte ich nicht zulassen!

Ich raffte meine ganze Kraft zusammen und nahm das Ruder fest in die Hand. Jetzt war ich zumindest Kapitän auf dieser Reise ins Ungewisse.

Und plötzlich – ich weiß nicht mehr wann – erschien am Horizont ein Silberstreifen, auf den wir zusteuern konnten….

—Heuer am Weihnachtsabend war das kleinste Päckchen unter dem Christbaum für mich. Es war hübsch in silbernes Papier mit Sternen gewickelt und mit Filzstift stand darauf zu lesen: für MutterMann. Darin war etwas, das ich wirklich liebe: ein Päckchen Schwarztee. Es war das Geschenk von meinem Jüngsten. „MutterMann“ so hat er mich irgendwann während unserer Irrfahrt getauft und ich bin stolz darauf. Als MutterMann bin ich eine Superheldin, die den wildesten Stürmen und den gefährlichsten Monstern trotzen kann. – Ich kann alles schaffen.