von Musenzeit
„Die BRAVO wird 60“, verkündet die Radiomoderatorin. Es folgen Erinnerungsanekdoten, von „Michael Jackson lebensgroß an der Wand“ und dem heimlichen Begutachten der Nackigfotoseite, bevor ich Motor und Radio abschalte.
Vage erinnere ich mich an Star-Poster, deren Ecken abgerissen waren, weil sie von der Tapete rutschten und so mit jeder neuen Tesafilmspur in der Größe schrumpften, bis sie zerliebt im Papierkorb landeten. Michael Jackson riss in der Mitte durch, seine Hüfte bog ab und der Kopf hing traurig nach unten, da unsere Zimmertür ständig in Bewegung war. Den „Moonwalk“ hatte ich mir da anders dynamisch vorgestellt. Die Asterix-Pannini-Klebebildchen hielten deutlich besser auf dem glatten Holz und gewannen das Rennen um den Ausstellungsort Tür.
In meinen frühen Teenagerinnenjahren war die junge Silvia Seidel so ein BRAVO-Star, bekannt aus der TV Serie „Anna“ über eine Ballettänzerin, die sich nach einem Unfall zurück auf die Tanzbühne kämpft. Romantisch in Szene gesetzt, mädchenhaft zart, mit Rose und Walleblondhaar, hing sie an der Wand. Nach ihrem Erfolg im deutschen TV und Kino versuchte die Schauspielerin ihr Glück im glamourösen Hollywood, der internationale Durchbruch misslang jedoch. Zu wenig Talent oder ungeschicktes Management? Eventuell lag es ja auch an der durchschnittlichen Nase, die sich auf dem Poster noch unverfälscht an die Rose schmiegt…
„Schau, ihre Nase sieht jetzt so aus wie die von Michael Jackson. Die findest du überall in diesen Kreisen, man erkennt sie sofort“, merkte mein Freund Robert neulich an, als er mir Videos der begnadeten Sängerin Emmylou Harris schickte. Anbetungswürdig anzuschauen als junge Frau, strahlt Emmylou auch in ihrem 7. Lebensjahrzehnt eine umwerfend schöne Eleganz aus, ihre Stimme ist unverändert ausdrucksstark und berührend. Aber warum sie ihren oberen Gesichtsteil in eine starre Maske verwandeln musste…? Vielleicht singt sie in ihrem Song „Prayer in open D“ in diesen Jahren auch von diesen Schönheitsidealschatten, die in uns Frauen wohnen. Die „sweet girl-woman“ Meg Ryan, die in den 90ern durch Hollywoodkomödien bekannt wurde, hat im Wettlauf mit der Zeit, den niemand gewinnt, ebenfalls etliche Chirurgen reich und ihre Mimik bitterarm werden lassen.
Zerliebt?
Wie schrieben unsere sprachbegabten Autoren neulich? Die Schönheit der „Nippon-Schwäne“ (danke, MISERANDVS!) und „denkmalgeschützte Gesichter“ (danke, Bernd Lange!) ist in der Jugendversessenheit dieser Mediengenerationen eine seltene Rarität in älteren (weiblichen) Gesichtern der Stars.
Von einem der Buchdeckel schauen mich die freundlichen Augen von Jane Goodall an, eingerahmt in ein Gesicht voll der schönsten Linienbewegungsspiele der Welt, die von einem mitfühlenden Leben voller Engagement zeugen.
Jane& Co. als lebensgroße Star-Poster im „Earthwalk“, BRAVO? Nein?
– Sweet, Young, Sex&Crime sells…„der Markt“ eben…
– Ahso…Wer bitte?
Ich träume weiter.
© Musenzeit 2021-09-04