Nach Hause fahren

diekoernerinschreibt

von diekoernerinschreibt

Story

Eine Sache, die man über mich wissen muss – ich kann sehr schlecht schätzen. Ich habe keine Vorstellung davon, was 500 ml sind, ich weiß nicht, wie schwer sich ein Kilo anfühlt. Wenn man mir sagt „das ist nur 5 Kilometer entfernt“, denke ich an die Prater Hauptallee und daran, dass ich die Strecke einmal beim Frauenlauf gelaufen bin und in etwa 30 Minuten dafür gebraucht habe, aber ich kann nicht abstecken, wo diese 5 Kilometer anfangen und wo sie aufhören. Das beschränkt sich auch nicht auf Kilometer, jede Maßeinheit ist von dieser Dysfunktionalität betroffen. Womit ich etwas anfangen kann, sind Zeitangaben.

In meiner Kindheit haben wir viele Wochenenden, Ferien oder sonstige Fenstertag-Kombos in Kärnten verbracht. Die Fahrt erschien mir unendlich lang. Wir waren drei Kinder, jeder durfte sich vor der Abfahrt 2 CDs aussuchen, die in den CD-Wechsler eingelegt wurden. In unseren besten Tagen waren das sechs Pumuckl-Hörspiele. Arnwiesen war unsere Pausenstation. Bei der “Punkterl-Station”, die heute keine Punkterl mehr hat. Wenn wir uns bis dahin zusammengerissen haben, gab es zur Belohnung Erdbeereis aus dem Becher, bei dem der Löffel zuerst separat dazugenommen werden musste, später wurde der wohl aufgrund von Zweckmäßigkeiten oder einer deutlichen Kostenersparnis im Deckel untergebracht. Eine unterschätzte Erfindung, denn ohne Löffel, kein Löffeleis.

Am Weg aus Kärnten zurück, gab es kein Erdbeereis, nicht weil wir uns nicht benehmen konnten, sondern weil wir die Raststation zu einer Uhrzeit anfuhren, die zu spät für Eis war. Nebenbei bemerkt ist das wiederum eine der unterschätztesten Vorteile des Erwachsenseins, Eis essen, wann immer man will, ob mit Löffel oder ohne. Im Sommer brach bereits die Dämmerung ein, sobald wir in Zöbern zufuhren, im Winter war es schon stockdunkel. Sowohl Dämmerung als auch Finsternis war zu spät für ein Eis. Manchmal gab es dafür eine Wurstsemmel. Diese Gelegenheiten waren rar gesät, aber diese Wurstsemmeln, die in Frischhaltefolie gewickelt schon den ganzen Tag auf drei hungrige Kinder warteten, waren damals die besten auf der Welt.

Nach Zöbern dauerte es in etwa zwei Pumuckl-CDs, bis wir zu meinem liebsten Teil der Strecke kamen. Zu diesem Zeitpunkt war es egal zu welcher Jahreszeit stockfinster. Zuerst sah man nur die rot blickenden Lichter der Windräder, dann kamen vereinzelt die Lichter des beginnenden Industriegebiets Vösendorf dazu und schließlich die schönste Beleuchtung, die eine Autobahn zu bieten hat. Auf den rechten Spuren, das Rot der Bremslichter derer Menschen, die nach Hause fuhren und links daneben das hell-gelbliche Scheinen der Autos, die wegfuhren. Dahinter erhob sich die Shopping City Süd mit ihrer Abendbeleuchtung, die sogar im stickigsten Hochsommer ein weihnachtliches Gefühl auslöst.

Bis heute sind die Lichter der SCS das Zeichen, dass ich bald zu Hause bin und es nur mehr in etwa eine Pumuckl Folge lang dauert, bis das Auto am Garagenplatz steht.

© diekoernerinschreibt 2023-02-01

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