Nachmittag eines Fauns

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story
Gavdos 2014

Wir trafen uns auf einem Strand in Gavdos, dem südlichsten Flecken Europas, der unbekannten Hippie-Insel, um einige Tage gemeinsam zu genießen. Am letzten Abend bereiteten wir unsere berühmt-berüchtigte No Talent Show vor. Die Bühne am Strand wurde mit Kerzen beleuchtet. Alles schimmerte sehr romantisch. Mein Gesicht bemalte ich mit grünen und rosa Flecken, so wie es nur die Tarnung eines sagenhaften Tierwesens sein kann. Alle warteten, bis ich auftauchte. Eine der für mich wichtigsten Performance meines Lebens hatte ich gleich am Anfang. Ich wollte Nijinskys Faun in der Musik von Claude Debussy darstellen, ein Fabelwesen aus einer anderen Welt, das sich in den verträumten, mystischen Klängen im Vorspiel zum „Nachmittag eines Fauns“ verliert. Seit ich die Biografie „Der Gott des Tanzes“ von Vazlaw Nijinsky gelesen hatte, war es immer mein Traum, einmal seinen Faun bis zur letzten sinnlichen Konsequenz darzustellen. Ich atmete tief ein und mein Körper entspannte sich, als die ersten sanften Töne der Harfe und Flöte in den Äther strömten. Debussy versetzte meinen Körper in einen Zustand der völligen Verzückung. In dieser Musik lag eine magische Leichtigkeit, die mich in den Dämmerwald zwischen Traum und Wirklichkeit führte. Meine Bewegungen waren sinnlich, als würde ich in einem geheimen Tanz mit der Natur gefangen sein und mit den unsichtbaren Geistern der Wälder kommunizieren, die in der Musik verborgen waren. Ich versuchte, den inneren Konflikt darzustellen, der in diesem mystischen Wesen wohnte: der Drang, sich der Schönheit der Natur hinzugeben und doch dem Wissen, dass diese Welt unerreichbar bleiben würde. Heute könnte ich all meine mich seit der Kindheit verfolgende Scham ablegen, wenn ich als Faun beim Anblick eines anderen Geschöpfes erregt werde, keine richtige Befriedigung erfahre und mich dann selbst beglücken muss, um meine Inbrunst zu beherrschen. Ich wollte eine tatsächliche Erregung des Penis zeigen, mich meiner wilden, ungezähmten Natur hingeben. Es war und blieb ein Traum, der mir aber, ebenso wie dem wahren Faun, nicht in Erfüllung ging. Bei den letzten Tönen der Musik fiel ich wieder in mich zusammen. Der Faun sprang fort, aber seine Seele schwebte weiter in der Luft.

Die Show ging weiter und wir sangen You make me feel brandnew von Vicky Leandros. Es wurde auf der Ukulele gespielt und zum Abschluss performte ich Conchitas und unser aller Hymne „Rise like a Phönix“, den Vogel, der am Ende seines Lebens verbrennt und aus seiner Asche wieder neu entsteht. Ich sah den Mond über mir leuchten und meine Gefühle drangen ganz bis zu ihm hinauf. Mit elegischen Händen langte ich weit nach oben und mir war, als würde ich den Mond nun in all seiner Mystik berühren und herunterholen. Und der Mann im Mond lächelte mir zu, ich sah es deutlich, es war keine Täuschung. Für heute Nacht hatte ich es geschafft, ich fühlte mich wie neugeboren. Unsere Party danach war erfüllt von crazy people, die nackt im Kreis Sirtaki tanzten. Einige schwammen noch ebenso nackt ins Meer hinaus, das sich weit zurückgezogen hatte. Wir spielten wie Feen im Wasser und tanzten auf den Wellen. Szenen aus dem Sommernachtstraum wurden lebendig. Die Meerjungfrauen frohlockten. Vergnügt und verträumt schliefen wir alle zufrieden ein.


© Gunny Catell 2025-02-10

Genres
Reise
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Inspirierend, Unbeschwert, Mysteriös
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