von Sonja M. Büttner
Hattest du jemals Angst davor, eine Textnachricht zu öffnen? Dein Herz rast, dein Magen dreht sich um und du starrst mit zitternden Händen auf dein Handy? Nein? Dann schätze dich glücklich. Wenn ja, weißt du genau, wie ich mich gerade fühle.
Mein Handy vibrierte. Langsam zogen meine Lider meine verklebten Wimpern auseinander. Sehr langsam. Was hatte ich mir da letzte Nacht nur ins Gesicht geschmiert? Tapetenkleister? Sekundenkleber? Nein, Make-Up. Wohl ein paar Kilo zu viel, um unabgeschminkt ins Bett zu gehen. Ins Bett gehen? Ich blickte mich um. Ja, ich lag in meinem Bett. Aber wie war ich hierhergekommen? „Komm schon, streng dich an…“, sagte ich leise zu mir selbst und jedes Wort, jeder einzelne Buchstabe dröhnte in meinem Kopf, als wenn ein Specht auf mein Trommelfell einhackte. Reden war also keine gute Idee. Aber die Frage blieb offen. Ich versuchte die letzte Nacht oder zumindest die letzten Stunden zu rekonstruieren. Zunächst war alles schwarz, dann wie im Nebel, welcher sich jedoch allmählich, gemächlich lichtete. Ich war mit Freunden ausgegangen. Mit Make-Up im Gesicht, hochgesteckten Haaren… jetzt wusste ich zumindest, was da in meinen Kopf stocherte. Von dem Entfernen der Haarklammern erhoffte ich mir Erleichterung. Oh, hätt ich sie nur drin gelassen! Jenes Piksen hatte bisher den eigentlichen Kopfschmerz unterdrückt. Oder sollte ich sagen überdeckt? Mein Schädel wollte von innen heraus zerspringen. Der Schlag, als mein Handy vom Bett zu Boden fiel, glich einem Kanonenschuss. Fand zumindest ich.
Moment. Mein Handy. Die Nachricht. Gestern, nein, letzte Nacht.
Ich war mit Freunden unterwegs gewesen. In einer Bar, dann noch eine später im Club und danach in eine Hotelbar. Dort hatte ich Mike getroffen, also gesehen. Von weitem. Jener Mike, in den ich seit mehreren Wochen komplett verschossen war… bin. Und jener Mike, der mich gestern komplett ignoriert hatte. Kein Wort, kein Blick. Dabei hatten wir uns bisher doch ganz gut verstanden. Ich erinnerte mich an das Gefühl und somit an den Grund für den jetzigen Kater. Ich hatte mir aus Frust die Kante gegeben. Was danach passierte, war weg. Keine Erinnerung, nicht mal ein Fetzen, nichts.
Vielleicht gab die Nachricht mehr Aufschluss. Ich fingerte am Boden nach meinem Handy. Der Lichtschein des Displays brannte sich in meine Augen. Es dauerte ein wenig, bis ich was erkannte. Zunächst die Uhrzeit. Halb acht. Verschlafen hatte ich schon mal nicht. Und wer hatte geschrieben? – MIKE.
Mein Magen drehte sich um – nicht wegen des Alkohols. Mein Herz raste. Meine Hände zitterten und waren augenblicklich so schweißnass.
DER Mike! Warum? Was hatte ich getan?
Ich visierte mit dem Finger an, schloss die Augen, tippte auf die Nachricht. Vorsichtig riskierte ich einen Blick. Vorher mehrere Sprachnachrichten von mir an ihn. Oh Gott! Die anhören, den Mut hatte ich nicht. Und was schrieb er?
„Hoff, du bist gut von der Haustür bis ins Bett gekommen. Meld dich, wenn du was brauchst.“
© Sonja M. Büttner 2022-06-06