NĂ€chster Halt: Schottenring

Gabriele Koubek

von Gabriele Koubek

Story

Die U2 Station Schottenring liegt circa 23 m unter der Erde und fĂŒhrt unter dem Donaukanal durch. Man kann die Station sowohl in Richtung erster Bezirk als auch in Richtung Leopoldstadt verlassen.

Es ist ein eigenartiges GefĂŒhl so einfach unter dem Donaukanal durchzulaufen. Aber die Konstruktion scheint stabil zu sein und ich gelange trockenen Fußes vom ersten in den zweiten Wiener Bezirk.

Zum Ausgang Herminengasse fĂŒhrt mich ein Durchgang an dessen Ende ein Doppellift und eine Stiege die FahrgĂ€ste zurĂŒck an die OberflĂ€che bringen.

Dicke und dĂŒnne Linien laufen an den WĂ€nden des Ganges entlang. Sie verbinden StĂ€dtenamen miteinander.

Michaela MeliĂĄn hat 2017 dieses Kunst- und Gedenkprojekt „Herminengasse“ gestaltet. Sie wurde 1956 in MĂŒnchen geboren und lebt und arbeitet als KĂŒnstlerin und Musikerin in Deutschland.

Das Wandbild ist den jĂŒdischen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet.

In einem gemeinsamen Projekt von Wiener Linien und Kunst im öffentlichen Raum wurde erstmals der Verbleib jĂŒdischer Bewohner und Bewohnerinnen eines ganzen Straßenzuges, der Herminengasse, in der Zeit des Nationalsozialismus recherchiert und dokumentiert. Die Historikerin Tina Walzer fand gemeinsam mit ihrem Team die Spuren von 1322 Menschen, von denen 800 den GrĂ€ueltaten des nationalsozialistischen Regimes zum Opfer fielen. Sie wurden deportiert und ermordet.

In Linien zeichnet MeliĂĄn diese Einzelschicksale nach, die von den WohnhĂ€usern in der Herminengasse zu den verschiedenen Konzentrationslagern fĂŒhren. FĂŒr jede deportierte Person gibt es eine Linie.

An den RĂ€ndern der Wandbilder sind die Namen der Konzentrationslager in alphabetischer Ordnung gelistet. Die HĂ€user werden mit Balken dargestellt. Im unteren Teil liegt eine Struktur aus grauen Linien, die das damalige Eisenbahnnetz sichtbar macht.

Auf dem Weg zum Ausgang geht man buchstĂ€blich zwischen den beiden Seiten der Herminengasse hindurch. Die HĂ€user der linken Straßenseite sind auf dem linken Wandbild und die HĂ€user der rechten Straßenseite auf dem rechten Wandbild dargestellt.

Auf der Basis von Daten und Fakten entstand ein Geflecht von Linien, die subtil und dennoch klar das begangene Unrecht darstellen.

Nach diesen erschĂŒtternden Informationen brauche ich frische Luft und verlasse die Station.

Erst im Freien erinnere ich mich, dass nur zwei Gassen entfernt die Wohnung meiner Großeltern war. Jetzt fĂŒhle ich Dankbarkeit, denn ich durfte meine Großeltern noch kennenlernen. Sie haben glĂŒcklicherweise diesen grausamen Krieg ĂŒberlebt.

© Gabriele Koubek 2024-01-04

Genres
Reise
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Herausfordernd