von Johanna Buchholz
2013
Nachts um vier,
im Kinderzimmer
„Johanna! Du musst aufstehen, der Deich ist gebrochen.“, mein Vater versuchte mich wachzurĂŒtteln und ich wollte ihm nicht glauben so verschlafen wie ich war. „Das ist nicht lustig Papa, ich habe morgen Schule.“, ich wollte mich wieder schlafen legen. Das war echt ein schlechter Witz. Wir hatten zwar am Vorabend sicherheitshalber unsere RucksĂ€cke mit dem Nötigsten gepackt, aber das war echt ein mieser Scherz. „Hörst du die Sirenen nicht? Die Feuerwehr sagt es gerade durch. Wir mĂŒssen los!“, mein Vater zog weiter zum Zimmer meiner Schwester und ich blinzelte durch das Hellblaue Licht des Mondes. Jetzt nahm ich die gruselig klingende Sirene der Feuerwehr wahr. Es war tatsĂ€chlich kein Witz und die Elbe war auf dem Weg zu uns. Mit Hund und GepĂ€ck hetzten wir in das Auto und fuhren zu Bekannten im Nachbarort, welcher höher gelegen war.
Am nĂ€chsten Tag fuhren wir erneut nach Hause, um vergessene Dinge zu holen. Da war das Wasser schon in unserem Garten. Damals dachte ich noch, es wĂŒrde dabei bleiben und unter keinen UmstĂ€nden wĂŒrde das Wasser auf den Hof, geschweige denn in unser Haus eindringen. Wir mussten vieles zurĂŒcklassen. Unsere Katzen, die ĂŒber den alten Bauernhof stromerten, die Enten und HĂŒhner und unseren alten Vogel Rudi. Unsere HĂŒndin Kira begleitete uns. Ich hatte wirklich gedacht, dass wir in zwei Tagen wieder da sein und es den Tieren gut gehen wĂŒrde. Das war nicht so.
Das Wasser ĂŒberrollte Hof und Haus. Nahm die Katzen mit und rissen unseren Vogel Rudi hinfort. Einen halben Meter hoch stand das Wasser in der KĂŒche. Rudi hatte nicht gewusst, dass er nicht im Wasser landen konnte. Das Haus mit der Einrichtung aus meiner Kindheit war verloren und wir mussten alles neu machen. Ich kann in der Geschichte viel mehr das Gute sehen, als meine Mutter. Meine Eltern haben alles dafĂŒr getan, dass ich das Chaos nicht zu sehr mitbekam. SpĂ€ter erfuhr ich, wie sehr es bis heute an meiner Mutter nagte. Es war nicht nur der Hof meiner Kindheit, sondern auch der Hof ihrer Kindheit gewesen. Sie hatte alles mit aufgebaut uns musste mit ansehen, wie es hin fortgerissen wurde.
Das Wasser kam dann auch zu dem Ort, zu dem wir geflĂŒchtet waren. Ich half beim SandsĂ€cke tragen und das Haus in dem wir verweilten, blieb bis auf den Wohnkeller verschont.
Als sich das Wasser zurĂŒckgezogen hatte, konnten wir nicht bei uns zu Hause wohnen. Es roch muffig und nach dem schlammigen Wasser der Elbe. Wir mussten noch bis zum nĂ€chsten Jahr bei meiner Tante wohnen. Zu Weihnachten wurde mein Vater krank und musste ins Krankenhaus, weil er trotz Krankheit weiter am Haus arbeitete. Es war ein komisches Weihnachten, im unfertigen Haus, ohne meinen Vater.
In meinem Kopf dachte ich mir immer, die Maya haben sich um ein Jahr verrechnet. Denn 2013 ist meine Welt unter (Wasser) gegangen.
© Johanna Buchholz 2023-05-19