von Burcu Kaya
Mein Buch widme ich allen unentdeckten Seelen, die darauf warten, gesehen, gefühlt und geliebt zu werden. Ich sehe euch. Diese Niederschrift widme ich allen, die Schmerz und Verlust erleben. Ich weiß, dass es schwer ist. Ich weiß, dass es weh tut. Eurem … unserem Schmerz habe ich einen Trank zu widmen, der bitter schmeckt, aber auch süß ist. Der heiß und auch kalt ist. Der heilt, aber auch verletzt. So ist das Leben:
Der Schatten entsteht nur, weil das Licht existiert. Das Licht ist nur sichtbar, weil es der Schatten ist, der diesem die Bühne bietet.
Wenn ich ein Buch betrachte, sehe ich eine Welt. Ich sehe Seelen, die sich durch Buchstaben frei schreiben, und einen Geist, der sich auf ein paar Seiten erstreckt. Ich sehe eine unentdeckte Welt, die darauf wartet, entdeckt zu werden. Ich sehe Menschen, die darauf warten, gekannt zu werden. Ich sehe Träume, die darauf warten, erfüllt zu werden. Ich sehe Trauer, die das Herz anfleht, fortgehen zu dürfen. Freude, die sich im Herzen festsetzt und dabei laut und frei atmet. Ich sehe Menschen, deren Identität zwar durch Buchstaben erschaffen wurde, ihre Gefühle und Gedanken aber niemals in Buchstaben gefangen bleiben werden.
Jetzt frage ich mich: Ist nicht jeder Mensch ein unentdecktes Buch? Lauern nicht in jedem Menschen unentdeckte Welten, vergessene Hoffnungen, überspielte Trauer, unterdrückte Liebe, erlebte Freude? Sind diese denn nicht erzählenswert?
Die Gründe, eine Geschichte zu verfassen, sind vielerlei. Diese offenbaren sich spätestens, wenn man den letzten Satz des Buches gelesen und die Geschichte, die Ereignisse und Gefühle rekapituliert hat. Die Seele des Schreibenden offenbart sich im Geschriebenen – das tat sie schon immer. Der Schreibende leert seine Seele. Er schreibt die Buchstaben in jeweilige Reihenfolgen, um ihnen einen Sinn zu verleihen. Er projiziert seine Gedanken auf ein weißes Blatt Papier, um zu ordnen, zu heilen und manchmal, um zu verzeihen.
Ich las einmal, dass Schriften Geschichten zum Leben erwecken und aus Worten Farben und Ereignisse formen. Ich las, dass Buchstaben die Macht besitzen, Gedanken und Ereignisse zu beschreiben und diese zu verursachen. Der Erschaffer der Worte, der die Buchstaben in die richtige Reihenfolge bringt, um aus ihnen einen Sinn zu formen, kreiert Lebenswelten und Figuren. Er formt Träume und Ängste, beschreibt Hoffnungen und Enttäuschungen. Der Schreiber trifft Entscheidungen über seine Welt. Die Wurzeln dieser Entscheidungen finden sich in seinem Geist wieder.
Was für eine tolle Erfahrung, diese Geschichte erzählen zu dürfen…
Was für eine tolle Erfahrung meinen Geist zu offenbaren…
Aus: „Moment der Unendlichkeit“
© Burcu Kaya 2024-04-02