von Vanessa Mayer
So sitz ich da, am Rande meiner Badewanne, meine elektrischen Zahnbürste locker liegend in meiner rechten Hand, meine Füße überschlagen, das Handtuch über die Schultern geworfen und starre auf meine Zahnbürste. Der Spiegel ist vom Wasserdampf beschlagen. Ich sehe kaum etwas, aber fühle die hohe Luftfeuchtigkeit, die mich hier drinnen fast zu erdrücken scheint. Altbau und das Fenster so weit entfernt, dass ich entweder Akrobatin sein müsste oder eine Leiter brauchen würde um dran zu kommen. Also bleibt es geschlossen.
Dieser Nebel ist nicht nur rund um mich spürbar, sondern auch in meinem Kopf. Unzählige Gedanken versuchen ihn zu besiegen.
Weiter starre ich meine Zahnbürste an. Das Licht des Akkus lässt sich gut fokussieren und beruhigt mich irgendwie. Nicht das ich aufgeregt wäre, aber es entspannt mich. Ich beginne meine Kopf zu kreisen, schließ meine Augen. In jenem Winkel in dem mein Kinn mein Doppelkinn berührt schüttle ich irritiert meinen Kopf, öffne meine Augen, suche Orientierung, finde das blaue Licht des Zahnbürstenakkus und starre wieder wie versteinert meine Zahnbürste an. Dabei frag mich plötzlich ob Charly vor Jahren seine elektrische Zahnbürste hätte behalten sollen. Wir hätten zwar zwei elektrische Zahnbürsten in einem Haushalt gehabt, aber er hätte sich keine neue kaufen müssen nachdem ich ihn verlassen habe.
Eine Vorsichtstat wärs gewesen, hätt er damals seine alte Zahnbürste behalten. Ich hätt mich dabei bestimmt vor den Kopf gestoßen gefühlt. Hätt´s persönlich genommen, dass er lieber seine alte Zahnbürste behalten will, obwohl ich eine schöne neue zu Weihnachten bekommen habe. Hätte eine gemeinsame oder getrennte Zahnbürste tatsächlich soviel verändert? Bereut er diese Entscheidung damals meiner „Zahnbürsten-Teil-Aktion“ zugestimmt zu haben?
Immer noch sitze ich am Rande meiner Badewanne mit dem Rücken zur Wand und dem Blick zur Tür. Ich greif die Zahnbürste fester und dann wieder lockerer, fester wieder locker,… und frag mich dabei ab wann sich in Beziehungen diese allbekannte Abhängigkeit entwickelt.
Möglicherweise denkt Charly ja jedes mal wenn er sich die Zähne mit seiner, neu gekauften Zahnbürste, putzt daran, dass er damals seine alte Zahnbürste behalten hätte sollen.
Unverändert sitz ich immer noch auf der Badewannenkante. Meine Lust aufs Zähneputzen steigt massiv! Das Brummen der Zahnbürste würde auch diesen endlos scheinenden Gedankengang unterbrechen. Ich starte noch nicht mit dem Zähneputzen und geb einem weiteren Gedanken die Chance sich in meinem Kopf im Kreis zu drehen.
Ist die Entscheidung weiterhin die eigene Zahnbürste zu behalten und zu benutzen ein Zeichen von Unabhängigkeit, oder von Distanz? Zeigt es von fehlendem Vertrauen oder von zu wenig empfundener Sicherheit auf die eigenen Ladestation zu bestehen?
Ein Gefühl von Arroganz kommt in mir auf. War es egoistisch ihn zu bitten meine neue Zahnbürste gemeinsam zu verwenden?
© Vanessa Mayer 2022-11-26