von Elisandra
Was habe ich mir dabei nur gedacht? Er hatte mich doch bereits bei unserem Kennenlernen gewarnt, ich solle mich nicht in ihn verlieben. Tatsächlich hatte ich seine Warnung nicht ernst genommen, mir eingeredet ich könne die Eine sein, die mit der er glücklich werden könnte, trotz Bindungsangst und jahrzehntelanger Beziehungs-Abstinenz.
Hatte ich mir denn diese innige Nähe, diese wahnsinnige Anziehung und die bedingungslose Zugewandtheit nur eingebildet? Die gemeinsame Zeit mit Jonas war ein kostbarer Schatz gewesen und seit Jahren hatte ich nicht mehr eine solch tiefe Verbundenheit gespürt. Seelenverwandte, hatten wir immer gesagt, wenn wir den Gedanken des anderen unausgesprochen verstanden oder einfach nur still beisammensaßen und uns gegenseitig Kraft spendeten. Alles war miteinander möglich gewesen. Laut. Leise. Poesie und Prosa. Gemeinsam das Lachen wiederzuentdecken, die Freude am Leben zu spüren und die Farben neu zu mischen, hatte uns zusammengeschweißt.
Zu einer Zeit, in der unsere Leben aus den Fugen geraten, unsere Blicke auf schwarz-weiß programmiert waren und unsere Seelen nicht mehr lachen konnten.
-Aber bei ihm ist es keine Liebe. Bei ihm haben die Gefühle sich nicht weiterentwickelt. Ob er sie tatsächlich nicht hat, kann er nicht sagen, das kann auch die Bindungsangst sein.- Der Schmerz traf mich hart und unerwartet. In meinem Kopf kreisten Wortfetzen umher wie messerscharfe Waffen, die tiefe Schnitte hinterließen. Keine Gefühle entwickelt … keine Liebe … nur Freundschaft … den Rest hörte ich gar nicht mehr.
Ich schaute ihn an, suchte in seinem zerknirschten Gesicht nach einem Zeichen, welches ihn Lügen strafte, fand aber keines. Ich sah ihm an wie schwer es ihm gefallen war die Wahrheit auszusprechen, in dem Wissen mich zutiefst zu verletzen und doch mit der reinen, uneigennützigen Absicht mich freizugeben und zu schützen. „Du hast es mir am Anfang gesagt, hast mich gewarnt …“ hörte ich mich stottern „ich wollte es nicht wahrhaben, bin selbst schuld.“ Ich wollte nur noch weg, wollte dem Impuls entfliehen in seinen Armen Trost zu finden, obwohl er doch der Grund für meine tiefe Traurigkeit war.
Wollte nicht mehr wie ein offenes Buch vor ihm sitzen und meine innersten Gefühle zur Schau stellen.
Ich sah ihn im Rückspiegel, mit hängenden Schultern winkte er mir nach. Selbst jetzt fand ich ihn noch attraktiv. Wut und Enttäuschung mischten sich unter den Schmerz, über die vielen Hoffnungsfunken, die Jonas immer wieder in mir entzündet hatte. Aber für uns beide würde es kein Happy End geben, denn hier und jetzt endete, was nie richtig begonnen hatte.
Die Liebe, die ich zu sehr gefühlt und er verzweifelt versucht hatte zu fühlen, trennte uns nun endgültig und ließ in ihrer Intensität nicht einmal mehr Platz für Freundschaft.
Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz, zuckte durch meinen Körper und hinterließ eine tiefe Kerbe in meinem Herzen, in dem Jonas für immer einen Platz haben würde.
Im Radio besang Sam Smith mit „Too Good at Goodbyes“ meine Tränen.
© Elisandra 2024-02-28