Nathalie

Bernhard Fellner

von Bernhard Fellner

Story

“Moskau war groß und so kalt, neben mir ging Nathalie…” So beginnt eines der berühmtesten Chansons von Gilbert Bécaud. Ein junger französischer Tourist wird von einer russischen Fremdenführerin in Moskau begleitet. “Mir gefiel nicht allein ihr Name: Nathalie! Moskau war kalt aber schön, ich glaube ich sah nur sie… auf dem Roten Platz blieb sie stehen, Nathalie. Sprach in gelehrtem Ton von der Oktoberrevolution. Ich versteh: Komm her! Sah nebenbei mir Lenin an, und dachte vielleicht geh ich dann mit ihr ins Café Puschkin…”

…Da guckt sie mich mit großen Augen an: Nathalie! Das Foto hat ihre Mama gemacht. Ruhig und durchdringend ist ihr Blick. Und dann diese umwerfende Pelzmütze – eigentlich soll das ein Schafskostüm darstellen!

“Moskau war nicht mehr so kalt, und sie saß mir vis à vis. Sie hatte so schöne dunkle Augen, Nathalie. Nathalie. In ihrem Zimmer bei der Universität waren Freunde da von ihr, und es wurde ziemlich spät, denn wir lachten, der Krimsekt war so gut, und schon tanzten sie, und mit mir Nathalie…“

Die ersten beiden Strophen dieses Liedes, geschrieben von Pierre Delanoe, 1964 veröffentlicht von Gilbert Bécaud, der auch die Musik dazu komponierte. Es wurde zu einem der größten Erfolge von Bécaud und er musste es auf Verlangen immer und immer wieder singen.

…Unverwandt schaut mich Natalie an. Ich sehe nicht das Schafskostüm – ich sehe eine schneeweiße Pelzhaube. In ihren Augen spiegelt sich der Rote Platz, den weder ich noch sie je gesehen haben.

“Auf einmal, da sind alle fort, die Zeit vergeht, ich weiß nicht wie. Ich hielt sie noch in meinen Armen, Nathalie. Nichts mehr von dem gelehrten Ton, nichts mehr von der Revolution, nur wir zwei allein. Ich wollte fragen, wo ich bin, der Rote Platz, Café Puschkin, das, das alles klang so weit. Und nun bin ich fern von ihr, eines Tages kommt sie zu mir, Nathalie, Nathalie!“ Zahlreiche berühmte Interpreten haben Coverversionen des Chansons erstellt – zum Beispiel Adamo oder Richard Anthony. Das Café Puschkin, auf das im Lied Bezug genommen wird, gab es bei der Entstehung noch nicht. Erst 1999 wurde tatsächlich ein gleichnamiges Lokal in Moskau eröffnet. Bei der Einweihung sang Gilbert Bécaud… “Nathalie”!

…Wird es dich später einmal nach Moskau verschlagen, Nathalie? Also eine weiße Pelzmütze hast du ja schon… Und dieser tiefgründige Blick… Wovon träumst du gerade? Wirst du dir dieses Lied anhören? Die Original-Vinylplatte wird es dann sicher nicht mehr geben, aber auf You Tube gibt’s ja alles! Bemerkenswert ist, dass die Zahl neugeborener Mädchen, die den Rufnamen “Nathalie” erhielten, ab dem zweiten Halbjahr 1964 in Frankreich sprunghaft zunahm. “Nathalie” setzte sich damals „mit der Geschwindigkeit eines Tsunamis“ an die Spitze der beliebtesten Mädchennamen –acht von hundert Französinnen trugen ihn. Er blieb für mehr als ein Jahrzehnt in Mode und prägte somit „eine ganze Epoche“. …Ich freu mich, dass auch du diesen schönen Namen trägst: Nathalie, meine Enkelin!

© Bernhard Fellner 2021-03-10

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