Nebel rollt aus dem Tal herauf, haucht sich unserem Berg sanft ins Gesicht. Dämpft alle Laute. Lässt den Radius schrumpfen. Schon ist jeder in seiner eigenen Blase aus milchiger Luft. Ein Gefühl wie das Wort “Schwinden”. Ein friedliches Weltverschwinden.
Ich sitze auf der erhabenen Terrasse unserer Hütte auf einem geschnitzten Holzsessel, die Dielen knarren unter meinen nackten Füßen. Auch wenn sich nichts bewegt, ist das Knarren da. Die Hütte bewegt sich mit der Natur, hat ihre eigene Stimme, ihren eigenen Ruf.
Neben mir schneidet ein Geräusch durch die Nebelstille. Es klingt satt, wie ein Beißen, ein Kauen. Eine Frau watet durch das Hortensienfeld, das links neben unserer Hütte ausgebreitet daliegt. Sie trägt ein blauschwarz kariertes Hemd und eine Schere. Schneidet damit hier und da blaue Hortensienköpfe ab. Sie sucht sie aus, die Blumen, die sie schneiden will, geht in die Knie und die Schere zerbeißt die Stengel. Eingehüllt vom Nebel lässt sie sich Zeit. Wir alle haben jetzt Zeit, in der Nebelblase ist sie angehalten.
Von weiter unten dringt Radiomusik herauf. Sie hat nichts mit uns zu tun und wir nichts mit ihr.
Die Frau hat einen Hortensienstrauß geschnitten, die verschwenderische blaue Blütenwolke leuchtet wie ein Vollmond. Es ist ein Übermaß, es ist, was man Pracht nennt.
Mein Raum ist begrenzt auf diesen Stuhl, diese hölzerne Terrasse und mein Buch. Ich bin für einen Moment aus der Welt genommen. Ich brauche nichts zu sehen als den schmalen Streifen Grün vor mir, das Hortensienfeld mit den stillen blauen Monden und die in Milchluft getauchten Baum-Silhouetten um mich.
Unten im Tal raunt ein Motorroller von einer schnelleren Welt dort hinten. Weiter oben im Berg ist ein Klopfen zu hören. Dazwischen ist es still, sogar die Vögel schweigen.
Nichts hat mit mir zu tun.
Nichts hat mit mir zu tun.
© Christina Maria Fischer 2022-10-17