von Stefan Fröhlich
Schlaftrunken wachte ich auf. Alles war ruhig. Müsste Mama nicht das Frühstück in der Küche vorbereiten? Es duftete gar nicht nach Kaffee. Ich steige aus meinem Bett in unserem Waldviertler-Wochenend-Bauernhaus und latsche langsam in die Küche. Der Holzofen ist kalt. Erst jetzt fällt mir auf, dass es im ganzen Haus kalt ist. Haben meine Eltern die Öfen im Haus nicht angeheizt? Es ist zwar schon Frühling, aber es weht ein eisiger Wind ums Haus. Langsam bekommt mein 10-jähriges Ich Angst. Wo sind denn nur alle?
Laut nach meinen Eltern rufend laufe ich durch die hundert Jahre alten Gemäuer. Keine Antwort! Ich laufe in den Innenhof. Am großen Einfahrtstor steht meine Mutter. Mit ihren Armen umarmt sie sich selbst. Ist im ersten Moment nicht ansprechbar. Später sollte ich erkennen, dass es ihr erster Nervenzusammenbruch war, welchen ich mit ihr durchstand. Nach kurzer Zeit gelang es mir, sie in die Küche zu führen. Brüchig, mit den Tränen ringend erzählte sie mir stockend, dass mein Vater in der Nacht derart starke Bauchschmerzen bekommen hat, dass er ins Krankenhaus musste. Sie hatte Angst, war sichtlich mit dieser Situation überfordert. Ich versuchte stark für sie zu sein und selbst keine Tränen zu zeigen.
Am Nachmittag fuhren wir ins Krankenhaus nach Horn. Geduldig wartete ich, bis meine Mutter mit dem Arzt und meinem Vater gesprochen hatte, dann durfte auch ich ins Krankenzimmer. Ich setzte mich zu Papa aufs Bett, aber er reagierte nicht auf mich. Schaute an mir vorbei ins Leere.
„Papa hat Krebs“, erklärte mir meine Mutter, “ein Gewächs an der Niere, er wird nach Wien zur Operation überstellt”. Ich war verwirrt. Kannte mich nicht aus. In meinen jungen Jahren war ich bisher nicht mit Krankheiten konfrontiert gewesen. Krebs? In Italien am Strand hatte ich Krebse am Strand laufen sehen. Hatte Papa so einen verschluckt und in den Bauch bekommen? Er hat auch ein Gewächs? Eine Freundin von mir hatte im Garten ein Gewächshaus, war eine Pflanze in Papas Bauch? Würde ein Baum aus ihm herauswachsen? Jetzt war ich überfordert und fing zu weinen an. Ein harter Schlag traf meine linke Wange, sodass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte und aus dem Bett gefallen wäre. Geschockt blickte ich in das grantige Gesicht meines Vaters: „Hör auf zu weinen! Du weißt, ich mag das nicht! Pass lieber auf deine Mutter auf!“ Ich hörte auf zu weinen. Saß nur noch mit versteinerter Miene da. Wartete bis wir wieder nach Hause fuhren und bekam nicht mit, was meine Eltern noch miteinander besprachen.
Am nächsten Tag wurde mein Vater in ein Krankenhaus nach Wien überstellt. Auch wir packten alles zusammen, verschlossen die Türen unseres Waldviertler-Ferien-Bauernhofes und fuhren zurück nach Klosterneuburg. In einer Operation wurden meinem Vater eine Niere und die Galle entfernt. Er überstand die Operation. Für mich war die heile Welt in unserem Ferienhaus zerbrochen, denn an einem so ruhigen und schönen Ort, konnte doch nichts Schlimmes geschehen, oder?
© Stefan Fröhlich 2021-04-16