von S. Pomej
Eine Zeit lang besuchte ich abends jede Woche einen Vortrag eines Denksportclubs, zu dem verschiedene Redner, darunter auch Bestsellerautoren wie Viktor Farkas, geladen waren. Leider verirrten sich oft nicht nur Bildungshungrige dorthin, sondern auch einsame Pensionisten, die dort Ansprache & Anschluss suchten. Man kam also in das Extrazimmer des Gasthauses, bestellte sich ein GetrĂ€nk und wurde sofort mit Fragen ĂŒberfallen. Was sind Sie von Beruf, haben Sie Kinder, warum nicht – so als mĂŒsste ich mich rechtfertigen, dass ich die Menschheit nicht um ein weiteres Exemplar ĂŒberbevölkern wollte. Eine oftmalige Besucherin mit einem Hut so groĂ wie ein Wagenrad hatte mich schon die vierte Woche in Folge nach meinem Beruf gefragt und ich sagte diesmal genervt: „Ăgyptologin!“ – „Interessant, und was macht man da so?“ – „Mumien auswickeln!“ Sie staunte und fragte: „Und lĂ€sst sich das mit der Familie vereinbaren, haben Sie Kinder?“ Ich schĂŒttelte enerviert den Kopf und es setzte sich ein ca. 80jĂ€hriger neben mich, der aussah als wĂ€r er nur kurz dem Grab entstiegen und auch ein bisschen so roch. Der Friedhofsdeserteur wollte mich aber von seiner Fitness ĂŒberzeugen: „Ich renne noch tĂ€glich 20 Stockwerke hinauf, ohne zu keuchen!“ – Meine Augen weiteten sich anerkennend: „Toooll!“ Endlich begann der Vortrag – irgendwas mit Weltuntergang – und ich packte mein mitgebrachtes Papier und den Kuli aus, um mitzuschreiben. Immer wĂ€hrend des Vortrags kursierte eine Anwesenheitsliste, in die man sich eintragen konnte, damit man fĂŒrs nĂ€chste Mal eine postalische Einladung erhielt. Ich reichte den Wisch nur an den Fitness-Freak weiter und er wisperte in mein rechtes Ohr: „Was ist denn das fĂŒr eine Liste?“ Um das Ganze abzukĂŒrzen, sagte ich: „WeiĂ nicht!“ Kurz studierte er die Namen darauf, erkannte scheinbar den Zweck und forderte: „Den Kugelschreiber brauch‘ ich aber auch dazu!“ Ich bin an und fĂŒr sich ein geduldiger Mensch, doch riss mir der Geduldsfaden und ich zischte: „Das ist MEIN Kugelschreiber, den brauche ich, um UNGESTĂRT den Vortrag mitzuschreiben!“ Nach kurzer Andacht fragte er mich wieder: „Und wie soll ich jetzt meinen Namen draufschreiben?“ Ein tiefer Atemzug von mir folgte und ich herrschte ihn an: „BeiĂen Sie sich in den Finger und schreiben Sie mit BLUT!“
Der Vortragende – irritiert ob des marginalen Wortes – starrte mich an. Ich errötete und erklĂ€rte: „Entschuldigen Sie, aber ich kommâ her, um in Ruhe Ihren Worten zu lauschen und werde laufend abgelenkt! Irgendein Intelligenzbolzen reicht hier eine Liste ohne Kugelschreiber herum und ich soll jetzt meine Schreibgelegenheit verborgen! Und immer dieselben Fragen beantworten, warum ich keine Kinder hab!“ Zur behĂŒteten Dame kreischte ich: „Ich hab keine Kinder, damit mir wenigstens daheim keiner am Arsch geht, es reicht mir nĂ€mlich, wenn mich in der Arbeit alle nerven oder HIER!“ Der EhrenprĂ€sident des Clubs, ein weiĂbĂ€rtiger Mann wie von Tintoretto im Fieberwahn gemalt, lugte kritisch von seinem Platz neben dem Redner zu mir: „Sie brauchen sich doch nicht gleich so aufzuregen!“ Darauf ich mit gepresster Stimme: „Noch ein Wort, wenn Sie sagen, und ich zerreiĂâ die Liste auf 1000 Fetzen!“
Todesstille. Ich bat den Redner: „Bitte weiter!“ Und ging danach nimmer hin.
© S. Pomej 2024-02-25