von Melisa Kuljanin
Das Hostel präsentiert sich recht hübsch, das imposante Gebäude aus dem 19. Jahrhundert beeindruckt. Der Aufzug befördert mich in den 3. Stock, und hinter Zimmer Nr. 312 erwartet mich der Aufprall. 6 qm mit fünf fremden Frauen für ganze zwei Wochen. In Zeiten von Billigflügen und Reise-Influencern mag das nicht sonderlich aufregend erscheinen. Doch für mich, ein Kind der 80er, war es ein riesiges Abenteuer. Nun gut, machen wir uns nichts vor. Ich hatte in ein Hostel eingecheckt, das ich mir vorher ausgesucht und bezahlt hatte. Etwas Sicherheit gab es dann doch für mich. Mir wurde bewusst, dass ich nur einmal auf Klassenfahrt war, und das mit meinen Freundinnen im Zimmer. Ich konnte das alles nicht sonderlich gut, und 37 war kein Alter, in dem es einem besonders leicht fallen sollte. Ich versuchte die Stadt, wo es ging, zu Fuß zu erkunden. Wenn mich der Mut überkam, fragte ich ab und an eine Ungarin oder einen Ungarn nach dem Weg oder wie man etwas aussprach. Die Ungarn konnte ich nicht so recht lesen. Waren sie zurückhaltend, arrogant oder einfach relativ verschlossen? Vielleicht lag es daran, dass ich ein gewisses Bild von offenen Osteuropäern hatte, die einem lächelnd entgegentreten und einen zu sich einladen, um mit der gesamten Verwandtschaft zu speisen. Doch das war wohl ein sehr südslawisch geprägtes Bild, und der Einfluss, den die Ungarn auf den slawischen Raum hatten, schien nicht wechselseitig zu sein. Die Stadt öffnete mich neuen Erfahrungen, Menschen, Abenteuern. Überall zeigten sich Bauten im Stil des Budapester Jugendstils, sei es in Theatern, Museen oder einfachen Wohnhäusern. Neben all dem Imposanten und Pompösen offenbarte sich auch Armut, Drogen und Obdachlosigkeit. Die öffentlichen Plätze wurden ständig gesäubert, besonders dort, wo Touristen frequentierten. Doch es gab auch Orte, wo Mülltonnen von Bierdosen überquollen. Man sah die Menschen in Warnwesten ständig mit einem Greifer und Müllbeutel bewaffnet, den Müll entfernen, den die zahlreichen Touristen achtlos liegen ließen. Dort, wo es viel Andrang von Touristen aus aller Welt gab, reinigte man die Instagram-tauglichen Kulissen schnell von den Starbucks-Bechern und McDonald’s-Tüten. Doch es gab auch die anderen Plätze, wo die Mülltonnen von Bierdosen nur so überquollen. Ich wollte mich völlig auf diese Abenteuer einlassen. Ich wollte versuchen, abseits des Ganzen die Stadt kennenzulernen. Dies ging jedoch nicht nur, aber vor allem über die Menschen. Es ist nur schwer möglich, ein Gefühl für einen Ort zu bekommen, wenn man sich nicht auch den eigenen Emotionen und denen der Menschen öffnet. Es ist schwer, ein Gefühl für einen Ort zu bekommen, wenn man sich nicht den eigenen Emotionen und denen der Menschen öffnet. Dies sollte sich für mich als der herausforderndste Teil herausstellen. Ich mied Menschen eigentlich ziemlich gerne, und das aus zwei sehr einfachen Gründen. Zum einen hielt ich die Emotionen der anderen sehr schwer aus, da ich noch nicht in der Lage war, mich wirklich gut abzugrenzen, und zum anderen hielt ich meine eigenen Emotionen nicht aus, wenn ich mich verletzlich machte. Das Paradoxe war, dass ich glaubte, Menschen auf Abstand zu halten, wenn es doch Nähe war, wonach ich mich insgeheim sehnte. Doch diese war noch schwieriger auszuhalten und sollte ich erst noch lernen.
© Melisa Kuljanin 2024-01-28