von Evelyn Weyhe
Grau. Alles grau. Dichte Nebelschwaden fegen vom Wind getrieben, am Fenster vorbei. Fröstelnd ziehe ich den Morgenmantel enger um mich. Meine nackten Füße tasten nach den Hausschuhen. Mit einem heißen Tee setze ich mich in den geheizten Wintergarten und beobachte wie Bäume, Büsche und Blumen gequält dem Wind trotzen. Blätter und Blüten wirbeln über die Terrasse, ein Kissen treibt verloren im Schwimmbecken. Ein idealer Tag liegengebliebenes auf dem Laptop zu bearbeiten. Mittlerweile ist es angenehm warm im Haus und ich beginne diesen, für Andalusien ungewöhnlichen, Frühlingstag zu genießen. Der Computer radelt sich müde hoch. Heute zeigt der Bildschirm ein türkisfarbenes Meer mit einem langen weißen, mit Palmen gesäumten Strand. Muss das unbedingt heute ein? Gerade hatte ich mich auf einen gemütlichen „deutschen“ Wintertag eingestellt. Als Erstes meine E-Mails öffnen. Keine Internetverbindung, wird mir angezeigt. Meine Laune sinkt. Nicht in Verbindung mit der Außenwelt zu stehen, fühlt sich merkwürdig an. Obwohl, was kann ich schon versäumen? Erschreckende Szenarien aus der Welt, dumme Kommentare in Facebook, Scams, wieder nichts im Lotto gewonnen, eine längst überfällige Rechnung, die zur Bezahlung ansteht, Spam Mails? Wie war denn das früher, sozusagen in der vor digitalen Welt? Da lag die Morgenzeitung schon im Briefkasten und am Frühstückstisch lasen wir uns gegenseitig interessante Artikel vor. Später ging man zur Bank, bezahlte eine Rechnung, hob noch Geld ab, gab bei der Lottostelle seinen Schein ab, schaute nochmal in den Briefkasten und öffnete gespannt einen Brief der Eltern, oder las die Postkarte der Freunde aus dem Urlaub. Manchmal vermisse ich diese Zeit. Es war einfach entspannter, ruhiger.
Immer noch kein Internet. Ich mache mir einen Kaffee und tigere unruhig im Haus hin und her. Ich könnte ja mal die Küchenschubladen aufräumen und putzen oder meinen Schrank ausmisten. Mal sehen, ob das Internet wieder funktioniert. Tut es nicht. Lustlos öffne ich meinen Schrank, sortiere Kleidungsstücke auf eine Seite. Inzwischen muss das Internet doch wieder funktionieren. Tut es nicht. Der Kleiderberg wird größer. Alles, was ich ein Jahr nicht getragen habe, kommt dazu. Herrlich so ein leerer Schrank! Dieser Internet-Typ kann was erleben, immer noch keine Verbindung! Ich setze mich in die Nähe des Laptops und nehme ein Buch zur Hand und versinke genussvoll in der Handlung.
PING! Das Geräusch reißt mich unsanft in die Gegenwart zurück. Internet ist da! Das Buch ist vergessen, mal sehen, was es Neues gibt in der Welt! Die Kleidungsstücke kann ich später wieder zurück in den Schrank räumen.
© Evelyn Weyhe 2025-01-28