von Gregor Demblin
Plötzlich war die Leichtigkeit verschwunden. Wir waren niedergeschlagen, nichts machte mehr Freude. Jeden Morgen quÀlten wir uns in die Arbeit. Wir hatten ein Kind verloren, und ich wusste nicht, wie ich meine Frau trösten konnte. Die Zeit verging, schleppend.
Dann der erste Termin beim Ultraschall. Was machen wir, wenn wieder kein Herz schlĂ€gt? Unsere Anspannung unendlich, und es dauert eine Ewigkeit, bis der Arzt etwas sagt. âWunderschön, das Herz schlĂ€gt ganz regelmĂ€Ăig. Hier, dieses Flimmern, sehen Sie?â Unsere Blicke treffen sich, erlöst, glĂŒcklich. Alles okay.
Doch der Arzt spricht weiter. âUnd hier, sehen Sie? Da schlĂ€gt noch ein zweites Herz. Gratuliere, Sie bekommen Zwillinge!â Wir starren auf den Bildschirm.
Wie in Trance verlassen wir die Praxis. Zwillinge? Der Mann im Rollstuhl, und dann auch noch Zwillinge? Wie sollen wir das meistern? Meine Frau, stark wie sie ist, fasst als Erste Zuversicht. âWir haben schon so vieles geschafft. Wir werden auch das schaffen.â Ich bin mir da nicht so sicher.
Die gesamte Schwangerschaft dann eine einzige Zitterpartie. Monatelang muss meine Frau liegen. Langsam vergehen die Wochen. Der Sommer geht in den Herbst ĂŒber, der Herbst in den Winter. Und irgendwann, viel zu frĂŒh, melden sich erste Anzeichen der Geburt.
ZurĂŒck in die Gegenwart. Heute war der lĂ€ngste Tag meines Lebens. DrauĂen liegt meterhoch der Schnee. 15 Stunden lag meine Frau in den Wehen, 15 Stunden, in denen ich völlig hilflos danebensaĂ, mitleiden musste und nicht helfen konnte. Es wird langsam hell. Es wird wieder dunkel. Unendliche SchwĂ€rme von KrĂ€hen ziehen ĂŒber den Himmel.
Plötzlich geht alles ganz schnell, Notkaiserschnitt, meine Frau ist weg, ich am Weg zum OP. Nach einigen Diskussionen ĂŒber Hygiene darf ich im Rollstuhl hinein. Kaum komme ich an, wird ein winziger blauer Körper aus dem Bauch gezogen, fĂ€ngt an zu schreien. Wahnsinn.
Eine Minute spĂ€ter der zweite. Die beiden sind zwei Monate zu frĂŒh auf der Welt, sie werden sofort in spezielle WĂ€rmedecken gewickelt und im Eiltempo auf die Notstation gebracht. Ich bleibe allein am Gang zurĂŒck.
Endlich Ruhe. Völlig erschöpft, sehe ich die beiden friedlich in ihren BrutkĂ€sten schlafen. Ich kann es kaum glauben, kann mich nicht sattsehen. Die Vitalfunktionen werden ĂŒberwacht, GerĂ€te piepsen vor sich hin. Beide haben einen Schlauch durch die Nase, mĂŒssen kĂŒnstlich ernĂ€hrt werden. Doch die Ărzte sind zuversichtlich. Auch wir bemĂŒhen uns um Zuversicht.
Ihr zwei winzigen Menschen, ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr wir uns auf euch gefreut haben! Monatelang haben wir gehofft, gezittert, gebangt. Was fĂŒr ein unbeschreibliches Wunder! Und obwohl ich euch noch ĂŒberhaupt nicht kenne, spĂŒre ich, dass ab heute auĂer euch beiden nichts mehr wichtig sein wird in meinem Leben. So zart, so zerbrechlich. Haltet bitte durch! Es wird alles gut.
© Gregor Demblin 2020-09-17