von AvaMorgan
Wir saßen auf dem Balkon, zwei Getränke vor uns und genossen die Brise, die uns das Haar sanft zerzauste. Es war einer der ersten richtig warmen Tage im Jahr, der Sommer schien zum Greifen nah. Schweigend saßen wir da und hingen unseren eigenen Gedanken nach, die es zu ordnen galt. Eine kurze Pause in diesem so wichtigen Gespräch. Ich hatte ihm eröffnet, dass ich meinen Traum von der Journalistenschule doch noch nicht aufgegeben hatte. Ich wollte es noch immer, das war mir in den letzten Wochen mit voller Härte bewusst geworden. Wollte eine anerkannte Ausbildung, mehr, höher hinaus. Nicht mehr nur freiberuflichen Musikjournalismus, sondern einen eigenen Schreibtisch mit einer Verlagsgruppe im Rücken.
Doch dafür brauchte ich nicht nur Talent und Überzeugungskraft: Mein Leben in Wien, das ich mir so mühsam aufgebaut hatte und das mir zum ersten Mal das Gefühl von ankommen und Zugehörigkeit gab, würde ich hinter mir lassen und gegen eine ungewisse Zukunft in Deutschlands Hauptstadt eintauschen müssen. Für mindestens drei Jahre.
Er war es, der das Schweigen brach. „Und was wäre, wenn ich einfach mit nach Berlin kommen würde? Ich würde dort sicher eine ähnliche Arbeit finden wie hier.“ Ich war verdutzt, doch dann überkam mich Freude über eine mögliche Zukunft und wir malten uns gemeinsam aus, wie alles werden könnte. Ich küsste ihn und verzog mich hinter meinen Laptop, wo ich die bereits fertige Bewerbung mit einem Knopfdruck abschickte. Als Antwort kam eine Einladung nach Berlin. Ich plante sofort drauf los.
Egal, wie dieses Gespräch verlaufen würde, ein paar aufregende Tage in dieser spannenden Stadt waren mir sicher. Ich versuchte, so viel wie möglich reinzupacken. Street Art, Kieztour, hippe Lokale testen, natürlich auch Standard-Touri-Programm á la Museumsinsel und Brandenburger Tor und genießen an der Spree, umringt von Musik und Lebenslust. Verträumt blinzelte ich in die Sonne. Ja, hier könnte es mir gefallen.
Am letzten Tag war es soweit. Der Bus brachte mich fast bis vor die Tür. Obwohl von der Allee teilweise bedeckt, war das Backsteingebäude sofort auszumachen. Mein Puls beschleunigte sich. Erneut meldeten sich Zweifel, meine treuen Begleiter, im Hinterkopf. Sollte ich wirklich alles aufgeben und nochmal ganz von vorne anfangen? War ich für eine Stadt wie Berlin geschaffen? Passten dieser bunte, laute, internationale Ort und die ganz andere Mentalität zu mir? Konnte ich mich mit der Berliner Schnauze anfreunden? Würde meine noch frische, vielversprechende Beziehung diese radikale Veränderung überstehen?
Ich wusste, ich hatte nur eine Chance, das alles rauszufinden: Mich dem Hearing stellen, die Was-wäre-wenns beiseite schieben und alles auf mich zukommen lassen, bis eine Entscheidung gefällt war. Ich würde mein Bestes geben, um von mir zu überzeugen, doch der finale Schritt lag nicht in meiner Hand. Ich streckte den Rücken durch, straffte die Schultern und schritt auf das Gebäude zu.
© AvaMorgan 2022-01-26