von RheaWinter
Auch ich rücke näher an die Absperrung vor, obwohl ich wegen des starken Gegenwindes kaum Luft bekomme und Regentropfen mir ins Gesicht klatschen. Doch es lohnt sich. Die Horseshoe Falls offenbaren sich mir in ihrer vollen Pracht. Mit ihrer geschwungenen Form, die an ein Hufeisen erinnert, stürzen die Fluten von drei verschiedenen Seiten aus in den Niagara River. Weiße Gischt mischt sich mit Nebelschwaden und schickt mich auf eine magische Reise ins Auenland.
Obwohl der Regen auf die Besucher niederprasselt, drängeln sich chinesische Touristen mit Selfie-Sticks, indische Großfamilien, die Mühe haben, die Kinder im Zaum zu halten und Backpacker mit riesigen Rucksäcken vor der Steinmauer. Munteres Geplapper schwirrt durch die Luft und ich sauge die klare Luft ein. Das kühle Wetter erweckt meine Lebensgeister und mein ganzer Körper entspannt sich. Gerade zählt nur das Hier und Jetzt, das unglaubliche Glück, solch ein Naturwunder bestaunen zu dürfen. Einige Minuten halte ich inne bevor auch ich mein Handy hervor hole und Bilder von den Horseshoe Falls knipse.
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Auf meinem Weg in die Innenstadt laufe ich am Wasser entlang und bewundere den dahin rauschenden Niagara River. Bald komme ich an den American Falls vorbei, die sich auf der anderen Flussseite befinden und von der kanadischen Seite aus besonders gut zu sehen sind. Im Gegensatz zu den Horseshoe Falls haben sie keine hufeisenförmige Form, sondern rauschen geradlinig in den Fluss. Einige Meter von ihnen entfernt befindet sich außerdem ein schmaler Wasserfall, die Bridal Veil Falls, die weiß gefärbt von der Gischt einem Brautschleier ähneln.
„Wie cool, dass man auf der anderen Seite des Flusses die USA sieht!“, denke ich mir, während ich beinahe mit einem Mann im Regenponcho zusammenstoße, weil ich meinen Blick nicht von den Wasserfällen nehmen kann. Zwar sehen die Grünflächen auf der anderen Seite genauso aus wie in Kanada, doch der Bundesstaat New York lockt mit imposanteren Casinos, den wehenden Stars and Stripes Flaggen und dem grenzenlosen Ruf nach Freiheit. An der Rainbow Bridge angekommen, die Kanada und die USA sowie die beiden Grenzstädte, die lustigerweise beide Niagara Falls heißen, verbindet, grüble ich über einen Kurztrip nach. Allerdings bin ich schon recht müde und glaube nicht, dass es im US-amerikanischen Niagara Falls Spektakuläres zu sehen gibt, obwohl es natürlich cool wäre, offiziell mal in den USA gewesen zu sein.
© RheaWinter 2024-10-16