von Flonie
22.00 Uhr, Armin Wolf spricht: „Um dem Virus Herr zu werden, müssen wir Abstand halten, Hände waschen, Maske tragen und uns an Social Distancing gewöhnen.“
„Das kann doch nicht so schwierig sein.“ plappere ich. Der Begriff Social Distancing breitet sich im, mit Einsamkeit überfüllten, Wohnzimmer aus. Warum in Englisch? Weil Social Distancing niedlicher klingt als die scharfe deutsche Soziale Distanzierung. Eine Beruhigung kann ich bei beiden nicht finden, trotz suchen.
Ich rufe meine Freundin an. Sie fragt mich, während ich einen Schluck Kaffee nehme: „Wie geht’s mit dem Social Distancing?“ „Ehrlich?“ „Ja, natürlich.“ Ich mache eine Pause und sage: „Ich muss nicht jedem die Hand geben und abbusseln muss ich auch nicht unbedingt. Du weißt, ich habe es mir im Büro verbeten, jeden Tag beim Kommen und Gehen den KollegInnen die Hand zu reichen. Man sieht sich doch jeden Tag. Natürlich weiß ich nicht, was die über mich denken in dieser Causa. Ist mir auch blunzn.“
Dieses Gespräch war vor Monaten kurz vor dem Lock down, damals hieß es Shut down. Absperren oder Herunterfahren, beides klingt weder vertrauenswürdig noch beruhigend.
Ich halte meine Kaffeetasse in der Hand. Mein Telefon läutet, meine Freundin meldet sich: „Hallo! Wie geht es dir? Du siehst doch so gerne Voice of Germany, derzeit die 10-Jahres-Jubiläumsstaffel. Das ist mein erstes Hineinkippen in The Voice. Schaust auch?“ Kurz denke ich: Schon wieder Englisch. „Ja, ich schaue. Es gibt sehr gute Stimmen. Hart ist die Un-Berührung. Es steht jemand auf der Bühne, weint vor Rührung, Freude oder Glück und niemand darf ihn oder sie drücken, selbst hinter der Bühne gibt es keine Umarmungen, wenn nicht im gleichen Haushalt gelebt wird. Vor Corona, war mir diese Show zu körperlich. Ich fand es übertrieben. Es ist nicht übertrieben. Es schmerzt mich, dass diese emotionalen, sensiblen KünstlerInnen nicht geherzt werden dürfen. Mir steigen dabei oft die Tränen auf.“
„Du? Ich muss dir noch etwas erzählen. Ich traf einen Professor der Uni Wien, dem ich zwei alte Tagebücher meines Opas zur Archivierung gegeben habe. Wir hatten schon einige Telefonate und endlich war unser erstes Treffen vor der Uni Wien. Er zeigte sich erfreut und wollte mir die Hand schütteln. Ich sagte ihm, dass das jetzt leider nicht geht. Er entschuldigte sich. Es tat mir/uns unendlich leid. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde: Ein erster Handschlag hat eine Aussage. Er kann fest, zu fest, lasch, feucht oder richtig gut sein.“ Das Gespräch fällt in ein Netzloch und ist zu Ende.
Ich trinke den letzten Schluck Kaffee, sehe tief in meine Tasse und wünsche mir zu Weihnachten 3 Mal Händedruck und 45 Minuten knuddeln mit 8 verschiedenen Menschen, die ich liebe. Wann kann mir das Christkind diesen Wunsch erfüllen? 2020 oder 2021? Oder noch schlimmer nie mehr? Super, ich weine schon wieder.
© Flonie 2020-12-01