Für das Leben lernen wir. Das habe ich erfahren dürfen als ich 16 Jahre alt und Schülerin eines Wirtschaftskundlichen Bundesrealgymnasiums für Mädchen in Mödling war.
Es gab ein neues Schulgesetz. Die Klassenschülerhöchstzahl wurde neu geregelt. Zwei waren zu viel in der 6b und nachdem sich niemand freiwillig für die Parallelklasse gemeldet hat, wurde gelost. Zwei hat es getroffen. Die eine war die Tochter des Architekten, der die Schule geplant hat. Sie blieb. Die zweite war ich. Die anderen waren froh, heil davongekommen zu sein, haben sich geduckt und zugesehen, wie die alte Frau Direktorin mich abtransportiert hat.
In die neue Klasse wurde ich situationsgerecht eingeführt und fühlte mich von Anfang an abgelehnt. Von da an ging gar nichts mehr. Ich lernte wie nie zuvor in meinem Leben: Fühlen, Leiden, Trotzen … Papierflieger aus dem Hinterhalt auf gequälte Lehrerhäupter, Stinkefinger und sonstige Frechheiten. Vorbei war es mit dem brav sein.
Kurzum, ich habe die 7. Klasse Gymnasium mit sieben Nicht Genügend verlassen. Niemand hier hat sich unnötige Gedanken zu meiner Zukunft gemacht.
Außer meine Eltern. Sie haben an mich geglaubt. Es gab Umarmungen im Überfluss, Lieblingsschokolade … Rudolf Steiner-, Karl Schubert- und Friedrich Eymann Schule wurde kontaktiert. Alles nichts. Zu alt, zu spät um mich in einem alternativen Schulsystem noch zurechtzufinden, fanden die Pädagogen.
Ich war auf dem besten Weg, die Spur zu verlieren.
Man kann, wenn man will, sehr viel. Du bist eine Löwin (im Sternzeichen) sagte meine Mutter. Du schaffst das, wusste mein Vater. Und meine Eltern gaben mir ausreichend Geld, um eine Maturaschule zu bezahlen.
Es war ein großer Schritt in die Welt der Erwachsenen. Ich saß nun in einer Klasse mit erwachsenen Leuten, die sich am zweiten Bildungsweg befanden und lernte für meine Matura.
Mit Disziplin, Ehrgeiz, der Kraft des Zutrauens meiner Eltern und meiner eigenen Löwinnenkraft, hatte ich in wenigen Wochen alles aufgeholt, mir meine Prüfungstermine, die damals in ganz Wien an öffentlichen Schulen verstreut waren, organisiert und meine Matura Vorprüfungen absolviert. Die Matura selbst war ein Klacks. Nur in Französisch war ich nicht gut. Aber es hat mich ein einziger Satz, den ich damals wie heute noch so richtig gut beherrsche, gerettet: On ne voir bien avec le couer. L´essentiel et invisible pour les eux.
Also, es war wohl auch etwas Glück dabei, aber ich hatte meine Maturaprüfung zum selben Zeitpunkt abgeschlossen, wie meine geduckten Kolleginnen im Gymnasium. Und ich war stark und strotzte vor Selbstvertrauen.
Man kann, wenn man will sehr viel, wenn man muss fast nichts, ist heute das Motto meiner pädagogischen Bemühungen. Herausforderungen, Schicksal und Schwierigkeiten sind dafür da, um daran zu wachsen. Ich möchte es nicht missen. Und ich hätte es in keiner anderen Schule besser lernen können, als in der in die ich gegangen bin.
© Ulrike Kleindienst 2020-05-25