von Klaus Schedler
Jetzt, mit bald 70 Jahren, fällt mir auf, wie jung Ärzte, Polizisten, Politiker oder Pfarrer sind. Dabei ändert sich allein meine relative Position innerhalb der Altersstruktur. Wer das weiß, rechnet damit und wer nicht rechnen will, kennt sich eben nicht aus.
Nehmen wir zum Bespiel das Infektionsrisiko beim Händeschütteln. Bei x Personen kommen da (x**2 -x)/2 Kontakte zusammen. Bei der Begrüßung zweier Fußballmannschaften zu 11 Spielern und 1 Schieds- und 2 Linienrichtern sind dies bereits 300 Kontakte, bevor das Spiel überhaupt angefangen hat. Hat wer damit gerechnet?
Bei den Hochrechnungen zur COVID-Pandemie hatte ich oft den Eindruck, dass namentlich Politiker von einer exponentiellen Entwicklung sprachen, ohne je die mathematische Bedeutung dieser Funktion begriffen zu haben. Anders wer dabei an Rosegger-Erzählung über die Uhr des Großvaters denkt.
Zur Erinnerung: Dem Großvater waren 30 Gulden für die Taschenuhr, die ein Holzknecht feilbot zu teuer. Der Holzknecht bot zum Schein an, ihm entgegenzukommen: Für jede der auf der Uhr befindlichen 70 Ziernieten, verlange er Haferkörner, wobei sich die Zahl der Körner ausgehend vom ersten Korn mit jeder Niete verdoppeln sollte. Der Großvater schlug ein, doch musste er feststellen, dass bald schon mehr Hafer resultierte, als er je ernten könnte. Nach meiner Überschlagsrechnung dürften tatsächlich 2 ** 70 Körner und somit mehr als ½ Million Gigatonnen Hafer herauskommen. Gern willigte der Großvater ein, als der Holzknecht ihm die Uhr schließlich doch um 30 Gulden überließ.
Auch die Wahrscheinlichkeitsrechnung hat ihre Tücken, wenn es etwa darum geht, wie oft es innerhalb bei den 22 +3 Leuten auf dem Fußballplatz vorkommt, dass zwei Personen am selben Tag (egal welchen) Geburtstag feiern können? Hier liegen die Schätzungen meist um eine Zehnerpotenz zu hoch. Das erstaunliche Ergebnis besagt nämlich, dass dieser Fall bereits ab 23 Personen bei mehr als der Hälfte der Spielpaarungen auftritt.
Warum das so ist, wird jedem schnell klar, wenn man die Gruppengröße schrittweise wachsen lässt. Bei einer 2er Gruppe ergibt sich die Wahrscheinlichkeit eines Doppelgeburtstags aus 1-(365/365×364/365) und beträgt 0,27 %: Bei einer 3er Gruppe sind es 1-(365/365×364/365×363/365) und der Wert liegt somit bei 0,82, bei einer 4er Gruppe bei 1,64 % und so weiter. Wer in dieser Weise geduldig weiterrechnet, kommt zu dem Ergebnis, dass ab einer Gruppenstärke von 23 Personen die Wahrscheinlichkeit eines Doppelgeburtstags bei 50,73 % liegt. Dieses Beispiel geht auf die 1930er Jahre unter anderem auf den Mathematiker Richard von Mises zurück.
Obwohl mir wie festgestellt auch Politiker von Jahr zu Jahr jünger erscheinen halte ich das politische Klima für immer bedenklicher. Ich setzte jedoch meine Hoffnungen auf mehr junge Mathematiker und Naturwissenschafter: Junge Leute also, die nicht immer nur mit dem Schlimmsten rechnen.
© Klaus Schedler 2020-12-01