nichts ist mehr, wie es war.

roswitha zeininger

von roswitha zeininger

Story

Samstag, 20. Oktober 2012. Dieser Tag sollte fĂŒr immer mein Leben verĂ€ndern. Letzte klar Erinnerung: ich sitze wie immer am Rand meines Bettes am Laptop am kleinen Teetischchen. Ich kippe nach vorne, reisse Tischchen samt Computer um und lande am Boden. Irgendwann lĂ€utet mein Handy. Warum kann ich nicht aufstehen? Ich versuche zum Handy zu robben. Es klappt nicht. Ich bleibe also liegen. Das Festnetztelefon lĂ€utet. Dass ich es nicht erreiche macht mich ganz verrĂŒckt. Ich habe Durst. Das Katzenbaby scheint verwirrt zu sein und lĂ€uft mir ĂŒber das Gesicht. Ich muss dringend aufs Klo. Kann es nicht mehr zurĂŒckhalten. Lass es laufen. Es wird kalt, sehr kalt. Durch die dĂŒnnen WĂ€nde höre ich AutotĂŒren beim Nachbarn schlagen. Ich beginne zu schreien, so laut ich irgendwie kann. Wieder und wieder. Kein GefĂŒhl von Zeit.Meine Zunge ist geschwollen. Furchtbarer Durst. Jetzt wĂŒrde ich jedem einen FĂŒnfziger geben fĂŒr ein Glas Wasser. Das Handy lĂ€utet wieder. Ich schaffe es nicht aufzustehen.

Das Katzenbaby nervt, dauernd krabbelt es ĂŒber mein Gesicht. Bitte alles, nur kein Stuhlgang jetzt! Irgendwann höre ich GerĂ€usche. Am Balkon. Es dauert unheimlich lange, bis ich das Kommen von Menschen realisiere. Bis sie bei mir in der Wohnung sind, dauert es eine Ewigkeit. Den ersten Menschen den ich sehe, halte ich fĂŒr meinen Therapeuten. Poldi ist auch dabei. Du hattest ein Schlagerl sagte sie. FeuerwehrmĂ€nner packen mich in ein Tragetuch und tragen mich zum Rettungswagen. Mit Blaulicht ins Spital. Ich liege auf der Stroke-Unit. habe höllische Kopfschmerzen. Der Arzt meint, normalerweise tut das Hirn nicht weh, aber ihr Schlaganfall war so gross, da kann es schon sein …Im Normalzimmer halte ich das Warten auf die Krankenschwestern nicht aus. Das LĂ€uten der Handys der Mitpatientinnen auch nicht. Mutter kommt auf Besuch, sie weint. Schwester auch, auch weinend. Sogar der alte Vater von weit weg, auch er weint. Ich kenn mich nicht aus. Mit der LogopĂ€din ĂŒbe ich Sprechen. Zum Essen bekomme ich nur Brei. Zum Trinken auch. Irgendjemand sagt mir, dass ich ca. 2 Monate im Spital bleiben werde. Ich muss die Vermieterin anrufen. Das tue ich dann auch. Das HĂ€uschen darfst du niemand anderen vermieten, ich komme wieder heim – Das weisst du doch gar nicht. Doch das weiss ich!

Nach einer gefĂŒhlten Ewigkeit werde ich verlegt auf eine Station namens Akutgeriatrie. Eine Ausnahme angeblich.Das Personal hier ist sehr viel freundlicher zu mir als das zuvor. Meine Schwester und Mutter besuchen mich tĂ€glich. Sie scheinen schwer besorgt zu sein. Irgendwie erfahre ich, dass ich möglicherweise ins Pflegeheim muss. Wenig spĂ€ter kann auch ich schon den Rollator benutzen. Zwei Tage spĂ€ter kann ich frei gehen. Meine Schwester nĂ€hert sich vom Ende des Ganges. Wir fallen uns weinend in die Arme. Diesen Moment vergesse ich nie mehr. Nach einer völligen HalbseitenlĂ€hmung habe ich mich vollstĂ€ndig erholt, sitze wieder am Bettrand. Grosses wurde klein, kleines wurde gross.

© roswitha zeininger 2019-04-11

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