… nie allein

SinaMinou

von SinaMinou

Story

Dicht drängen sich die Körper der anderen Hühner an mich. So dicht, dass ich mich kaum bewegen kann. Kaum atmen kann. Die stickige Luft scheint über unseren Köpfen vor Hitze und Insekten zu sirren. An den Gestank haben wir uns schon lange gewöhnt. Weglaufen können wir sowieso nicht.
Als ich vor ein paar Wochen aus meinem Ei geschlüpft bin, war es noch nicht so. Zwar waren wir damals schon in dieser Halle, die auch jetzt noch unser zu Hause ist. Aber wir hatten mehr Platz. Wir hatten warme, rote Lampen, unter denen wir uns zusammengekuschelt haben. Wir konnten rennen, erkunden, spielen. Aber jetzt? Die Halle ist groß, aber nicht groß genug, um uns allen Raum zu bieten. Meine Füße tun ununterbrochen weh. Durch das lange Stehen und die Krallen der anderen, die mir ständig meine Haut an den Zehen aufkratzen. Am liebsten wäre ich irgendwo hoch über dem eng mit Körpern bedeckten Boden. Würde dem Getümmel entfliehen und meine Flügel seit langem mal wieder ausstrecken. Doch es gibt keine Möglichkeit dazu. Und selbst wenn – ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt noch die Kraft hätte, irgendwo hinaufzuflattern. Meine Brust ist besonders in den letzten zwei Wochen so schwer geworden. Ich habe bereits Mühe, mich einfach nur aufrecht zu halten.
Plötzlich kommt die Masse an weiß gefiederten Körpern um mich herum in Bewegung. Erst kann ich nicht erkennen, warum. Doch dann sehe ich über die vielen hundert Köpfe der anderen hinweg, dass einige Zweibeiner nach und nach Hühner fangen und in.große Kisten setzen. Kurze Zeit später ist die ganze Halle in eine Staubwolke gehüllt und ich kann nichts mehr erkennen. Es sind nur noch das panische Geflatter und die Rufe der anderen zu hören. Und dann werde auch ich gepackt.

Nach einer langen Zeit, in der wir – in den Kisten zusammengedrängt – transportiert worden sind, hört das Geruckel und das laute Brummen endlich auf. Ich hoffe auf einen Ort, an dem ich mehr Platz haben werde, meine Flügel strecken kann. An dem wir alle wieder frei laufen können. Vielleicht war das ja der Grund für den Transport? Ich äuge interessiert aus den Gittern der Kiste. Die großen Türen der lauten, ruckelnden Kammer, in der wir transportiert worden sind, werden in diesem Moment geöffnet. Ein Zweibeiner blickt zu uns hinein und ein hell erleuchteter Raum kommt hinter ihm zum Vorschein. Das Licht blendet nach der Dunkelheit während des Transports. Hinter ihm sehe ich … eine weitere Halle. Aber nicht so eine, wie unsere. Diese hier ist nicht so hoch und nicht annähernd so groß. Resigniert wechsele ich einen Blick mit dem Huhn neben mir. Dann wird unsere Kiste angehoben, und wir verlieren das Gleichgewicht, während wir in die Halle getragen werden.
Einige Momente später sehe ich aus der Entfernung, wie die Kisten mit meinen Freunden, Brüdern und Schwestern nacheinander in ein Becken getaucht werden, gefolgt von einem angsteinflößenden Zischen und Knistern. Meine Begleiter werden unruhig und fangen lautstark an, um Hilfe zu rufen.
Aber wer soll schon kommen? Was soll es anderes geben? Wieder zurück in die Halle? Langsam ersticken oder zerquetscht werden? Wie einige andere erkranken und daran sterben? Nein. Denn wenn ich in meinem kurzen Leben eines gelernt habe, ist es: Alles wird immer nur schlechter.

© SinaMinou 2025-08-31

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Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Traurig
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