von Sarah Schreiter
Es gibt Momente an die wird man sich ein Leben lang erinnern. Meist ist mir erst im Nachhinein klar, dass ich soeben Erlebtes wohl nie wieder vergessen kann, doch diesmal wusste ich es gleich. Meine Matura bleibt mir fĂŒr immer in Erinnerung.
Vor ein paar Tagen war so weit, endlich bekam ich das Maturazeugnis ĂŒberreicht. Zuerst noch ein paar Reden, dann der groĂe Moment. Mit „Schreiter“, und somit recht weit hinten im Alphabet, wartete ich gespannt bis ich aufgerufen wurde. Mit jeder SchĂŒlerin vor mir stieg die Anspannung. Das Kleid klebte vom Sitzen im warmen Festsaal bereits an meinen Oberschenkeln, die HĂ€nde waren schwitzig wie nie. Zum GlĂŒck blieb der Handschlag diesmal weg. Corona-Matura.
Endlich hörte ich ihn, meinen Namen. Auf dem Weg nach vorne hielt der Direktor bereits das Glasding hoch, welches mir gleich fast aus der Hand fallen wĂŒrde. Ich bekam eine TrophĂ€e? Nein, da lag keine Verwechslung vor, darin eingraviert stand eindeutig „Sarah Schreiter“.
Schnell waren meine HĂ€nde voll. Die Zeugnismappe, das Geschenk vom Klassenvorstand, die Ehrung aus Glas und eine Rose vom Elternvorstand. Schon hielt mir der Fotograf seine Kamera ins Gesicht. Hinter mir hörte ich Klassenlehrer und Direktor wie sie sich durch ihr Foto-LĂ€cheln hindurch zuflĂŒsterten. „FĂŒnf Jahre Notendurchschnitt 1,0.“ „Unglaublich!“ Mein LĂ€cheln wurde noch breiter. ZurĂŒck zum Platz folgte mir jubelnder Applaus.
Ich wartete auf TrĂ€nen. Wer wĂŒrde zuerst weinen? Mama, Lehrer, SchĂŒler oder sogar ich? Doch es blieb alles im trockenen Bereich. Nie mehr Schule! So lange habe ich darauf gewartet und jetzt konnte ich es gar nicht glauben.
Kaum war die Zeremonie vorbei, wurden wir auch schon wortwörtlich aus der Schule geschmissen. Corona-SicherheitsmaĂnahmen. Normalerweise gab es jetzt einen Sektempfang und der in der dritten Klasse mit dem Chemielehrer selbst angesetzte Maturawein wurde verkostet. Aber was war dieses Jahr schon normal?
ZurĂŒck im Auto angekommen wurde natĂŒrlich sofort das Geschenk des Klassenvorstands inspiziert. Die kleine Flasche mit dem weinartigen GetrĂ€nk schob ich gekonnt beiseite, neugierig war ich auf den daran befestigten persönlichen Brief. Er hatte jedem aus unserer Klasse einen solchen verfasst.
„Liebe Sarah!
Wie werde ich dich in Erinnerung behalten?
Du warst eine SchĂŒlerin mit unglaublich guten Noten. […] – eine Bereicherung fĂŒr die gesamte Schule!
Aber vielmehr bleiben mir die GesprĂ€che mit dir in Erinnerung, die abseits von der Schule […] gefĂŒhrt wurden. Du hattest immer eine eigene Meinung, warst aber auch immer in der Lage, die anderen Blickrichtungen zu verstehen. Plaudern mit dir war gekennzeichnet von WertschĂ€tzung, Fröhlichkeit und Ehrlichkeit. …..“
Nach diesen Worten war ich erst einmal baff. Doch ein Blick durchs Fenster verriet mir, dass es nicht nur mir so ging. Auch im Auto welches neben uns parkte, lasen ehemalige Klassenkameraden gerade ihren Brief.
Dabei flossen die FreudentrÀnen.
© Sarah Schreiter 2020-06-29