von Hugo Portisch
An einem SpĂ€tnachmittag im April 1955 lĂ€utet Portischs Telefon in der âKurierâ-Redaktion. Am Apparat ist Bundeskanzler Raabs SekretĂ€r Erich Haider in Moskau, wo gerade wieder einmal die österreichische Regierungsdelegation am Verhandeln um den heiĂ ersehnten Staatsvertrag ist, der Ăsterreich frei machen soll:
„Heute kann ich es ja sagen. Damals habe ich es streng geheim gehalten: War der Haider am Telefon und sagt: âDu, wir sind durch! Ich sage dir, wie es ausgehen wird: Wir bekommen den Staatsvertrag, alle BesatzungsmĂ€chte werden abziehen, alle Kriegsgefangenen und andere politische Gefangene werden freigelassen und werden ihre Heimat wiedersehen.â Wörtlich! Ich bin ganz weg gewesen. Ich habe das nicht erwartet. Niemand hat erwartet, dass der Staatsvertrag kommt. Zehn Jahre lang ist jede Staatsvertragsverhandlung gescheitert. Jede! Auch die hoffnungsvollste. Es gab ja einige, die sehr hoffnungsvoll waren. Ein Jahr vorher in Berlin haben wir den Staatsvertrag auch schon fast in der Hand gehabt. Nur haben da noch die Sowjets darauf bestanden, dass sie mit einem kleinen Kontingent im Land bleiben. Und jetzt das? Das kann nicht wahr sein! Sagt er: âDu kannst dich drauf verlassen, es stimmt.â
Daraufhin rufe ich den Dichand an: âMachen wir ein Extrablatt!â â âSofort ein Extrablatt! Ruf den Herausgeber Ludwig Polsterer an.â Sagt der, ja, einverstanden, Extrablatt. Wir rufen die Leute in der Setzerei zusammen, dort war ja keiner mehr, der âKurierâ ist zu Mittag erschienen und wurde in der FrĂŒh gemacht. Die Setzer hatten aber ein gutes Alarmsystem und wir haben eine einblĂ€ttrige Zeitung produziert mit groĂen Headlines: âĂsterreich wird frei! Der Staatsvertrag wird abgeschlossen!â Alles hat sich ĂŒberstĂŒrzt. Nur hatten wir am Abend um sieben Uhr keine Kolporteure! Was machen wir jetzt?
Da habe ich gesagt: âDie ganze Redaktion, jeder nimmt sich einen SchĂŒppel ExtrablĂ€tter unter den Arm und wir laufen ĂŒberall in die Stadt und schreien: ,Ăsterreich wird frei. Der Staatsvertrag wird abgeschlossen!â So bringen wir das unter die Leute.â Der Dichand und ich nehmen uns jeder einen SchĂŒppel Zeitungen in die Hand und laufen auf beiden Seiten der KĂ€rntner StraĂe: âĂsterreich wird frei!â Aber die Leute haben nur gelacht: âWen haltet ihr denn zum Narren? Seid ihr blöd! Schleichts euch mit dem SchmĂ€h!â Niemand hat es geglaubt. â50 Groschen? Das ist nicht einmal 50 Groschen wert. Behaltet euch das Kasblattl!â Da habe ich gesagt: âWir schenken es her.â Und wir haben es verschenkt. Aber niemand hat es geglaubt.
Am nĂ€chsten Tag wurde es dann allgemein bekannt, aber der Erich Haider hat seine Entlassung riskiert, als er mir das aus Moskau noch vor dem ĂVP-Pressedienst durchgegeben hat. Er hat sich gedacht: Der âKurierâ erscheint ohnehin erst zu Mittag, da brauchtâs keine Sperrfrist ⊓
Drei Jahre danach löst Hugo Portisch, der Journalist mit den guten Kontakten, Hans Dichand als Chefredakteur ab. Da ist er 31 Jahre jung.
© Hugo Portisch 2021-05-06