No Early Bird

Silvia Peiker

von Silvia Peiker

Story

“Willst du schon geh’n? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.”

Mit sechs Jahren hatte ich noch keinen blassen Dunst von Shakespeare, aber early bird war ich auch keines. So wie meine Mutter konnte man mich zur Spezies der Nachteulen rechnen, während mein Vater und meine Großeltern passionierte Frühaufsteher waren. Denn Morgenstund‘ hat Gold im Mund war ihre Devise, wobei ich zu nachtschlafender Zeit leider noch nie auf eine Goldader gestoßen bin.

Mein schlechtes Gewissen wurde stets vom Spruch meiner Oma beeinflusst, wenn ich wieder einmal nicht aus den Federn zu bekommen war: „Wer spät aufsteht, stiehlt dem Herrgott den Tag.“ Da ich damals als einziges Mitglied meiner Familie am Sonntag die Heilige Messe besuchte, wollte ich mich nicht auch noch mit dem Herrgott schlecht stellen. Es reichte schon, wenn meine Großmutter wegen meiner leidigen Bettschwere ärgerlich auf mich war, und unser Pfarrer, der Religion in der Volksschule unterrichtete, mir zürnte.

Denn mit dem strengen Kirchenmann war nicht gut Kirschen zu essen. Er wusste jeden Montag genau, welches Schulkind am Tag des Herrn nicht in seiner Kirche das Vaterunser gebetet hatte. Da Sonntagmorgen der einzige Tag war, an dem ich und meine berufstätige Mutter ausschlafen und in Ruhe einmal später frühstücken konnten, wurde auch ich, so wie einige andere Klassenkameradinnen, zu Beginn der Religionsstunde einem peinlichen Verhör unterzogen. Noch dazu betrug meine Wegzeit zur Kirche knappe 5 Minuten und wäre mühelos zu bewältigen gewesen. Dieser Umstand brachte mir natürlich auf Hochwürdens Sündenliste einen zusätzlichen schwarzen Punkt ein.

Im Unterricht fürchtete ich seine donnernde Stimme, wenn er jedoch von der Kanzel predigte, lauschte ich gebannt seinem enthusiastischem Sermon. Da erzählte er von seinen Erlebnissen im Krieg, wie er unter Einsatz seines Lebens verwundete Soldaten vom Schlachtfeld rettete. Ich war nicht die einzige, die ihn für dieses gelebte Exempel christlicher Nächstenliebe bewunderte.

Obwohl ich Buße in Form der Beichte tun musste, hab‘ ich durchaus gern am Gottesdienst teilgenommen, auch wenn ich dafür zeitig aufstehen musste. Am schönsten fand ich die feierlichen Orgeltöne, die im Klangkörper des hohen Kirchenschiffes ihre prächtige Resonanz entfalteten. Andächtig stimmte ich in den Chor der Kirchgänger*innen mit ein, sprach die Gebete laut mit, ließ mir die Hostie auf der Zunge zergehen, die lediglich nach klebriger Pappe schmeckte, oder ich inhalierte den Duft von Weihrauch.

Gefreut habe ich mich stets auf das Zusammensein mit meinen Freundinnen nach der Messe. Dann konnten wir über die feschen Ministranten tratschen oder gemeinsame Aktivitäten für den Nachmittag planen.

Langweilig war es nur, wenn der andere, schon recht betagte Pfarrer anstelle des jüngeren die Messe in Latein las, denn dann verstand ich nur stazione ferroviaria.

Dank an unsplash fürs tolle Foto!

© Silvia Peiker 2022-02-12

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