No future für Velo Solex

Cornelia Morhardt

von Cornelia Morhardt

Story

Was war ich neidisch auf meine Klassenkameraden! Nicht auf alle. Nur auf die mit Mofa.

Das sah so schick aus, wenn die mit ihren bunten, glänzenden Kreidlers und Puchs auf den Schulparkplatz gefahren kamen und dann so cool davon abstiegen. Am besten noch in den neuesten Shirts mit Krokodil drauf. Anfang der 80er unbedingt mit hochgestelltem Polokragen, ganz wichtig! Dann das Bild vollenden: dramaturgisch ausgefeilt den Helm noch im Gehen abziehend, den Kopf in den Nacken werfend, um die frisch gestylte Haarpracht zu schütteln, mit den College-Schuhen – das waren die mit den kleinen Bommelchen – energetisch in Richtung Schuleingang schreiten.

Beeindruckendes Ritual.

Fehlte nur noch, dass sie die Riesenpackung Wrigleys unter den Arm klemmten. Farblich passend zum Polokragen, natürlich.

Ich stellte mein Fahrrad in den Fahrradständer und nahm die Klammer vom Hosenbein.

Mein älterer Bruder hatte wohl Mitleid. Als ich ihn besuchte, ging er mit mir in seine Garage und zeigte mir ein uraltes, seltsames Gefährt namens Velo Solex.

„Aber ist ein Mofa!“ sagte er. „Und Du kannst es sofort haben!“.

Verlockend!

“Und das fährt?“

“Naja, da sind ein paar Dinge kaputt. Ein paar Hebel fehlen auch. Aber es geht noch: Du trittst an, wie beim Fahrrad, fährst los und wenn Du genug Geschwindigkeit hast, dann schiebst Du den Motorblock auf das Vorderrad. Must aber gut Fahrt drauf haben. Und aufpassen! Wenn Du zu langsam bist, bremst der Motorblock dir den Reifen abrupt ab. Aber wenn er anspringt, dann fährst Du mit Motorkraft!“

Es klang nicht vertrauenswürdig.

Trotzdem. Ausprobieren.

Skeptische 15 jährige hält sich am Lenker fest. Tritt ein Pedal runter, hopst mit dem anderen Bein erst noch nebenher, tritt dann wie die Närrsche am Bändel in die Pedale, nimmt Fahrt auf. Ok, wenigstens weht mein Haar filmreif nach hinten. Aber jetzt nach vorne beugen und den Motor auf das Vorderrad setzen. Es wackelt, es ist sauschwer, das Gleichgewicht zu halten und dabei vornübergebeugt das Motormonster zu platzieren. Es rupft am abgefahrenen, uralten Gummireifen. Das Rad schlingert, der Motor stottert und hustet sich ins Laufen. Es wackelt noch mehr, beide Beine seitlich vorsichtshalber zum Boden ausstrecken. Es knattert und pufft. Mal kommt Motorkraft, mal keine. Die skeptische 15-jährige hofft betend auf die Funktionstüchtigkeit der Bremsen.

Das erzeugt einen Gesichtsausdruck, wie beim Trinken von warmem Bier.

Sieht unglaublich cool und elegant aus! Ich sehe mich vor der Schule ankommend in Helm und Ritterrüstung, um das lebend zu überstehen.

“Ne, Bruderherz!“ keuche ich. „Ist echt lieb gemeint, aber ganz ehrlich: Bevor ich mich mit dem Ungetüm vor der Schule auf den Bauch lege…da fahr ich lieber Fahrrad!“

Bei der nächsten Fahrt zur Schule zog ich extra Shorts an. Ein schickes Kroko-Shirt hatte ich nicht. Aber dafür durchtrainierte, braun gebrannte Oberschenkel und Waden, mit denen konnte man Nüsse knacken! Ha!

© Cornelia Morhardt 2020-06-21

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