Gestern fand ich diese Option: Den Storyteller Award. Wie so oft bemerke ich Dinge in meinem Leben zu spät. Wie dass es mir eine Zeit lang sehr gut ging, bis es mir nicht mehr so gut geht. Aber ich will mitmachen, auch wenn ich mich nicht bereit fühle. Vielleicht war ich schon längst bereit, vielleicht werde ich es nie sein.
Es ist Montag, und ich bin hundemüde. Die Kastanie vor dem Fenster ist jeder Jahreszeit mindestens eine voraus. Es regnet, und es ist grau, bedrückend trist. Es könnte gemütlich sein, wäre mein Gemüt nicht längst wieder krank. Ich weiß genau, dass ich diese Lähmung selbst verschuldet habe, schon vor einigen Tagen, genauer gesagt: am Freitagabend.
Denn ich entschied mich für den Alkohol, dieser verfluchte Alkohol. Niemand kann mir erzählen, er habe ihn unter Kontrolle. Obwohl, vielleicht kann nur ich es niemandem erzählen. Denn sobald ich ihn trinke, übernimmt ein Teil von mir, ein tief verborgenes, verletztes Ich. Ein Teil der ausbrechen und leben will. Er will mich auslöschen, wie ein ungewolltes Feuer. Denn das Aufrechterhalten war zu anstrengend. Dann werde ich zum Waldbrand und vernichte alle Träume, Ziele, Ambitionen, die Freundschaft von mir zu mir. Es gibt dann, in diesem Rausch, kein zurück mehr, kein Happy End. Warum tue ich mir das an? Damit ich merke, dass es da noch ein Problem gibt, einen Verlust? Dass ich zwar auf einem guten Weg bin, aber es noch nicht gut ist? Es ist ein Hilfeschrei, ganz ohne Laute.
In mir tobt sie, eine desillusionierte Stille, ein Stechen in der Brust.
Was rettet mich jetzt? Ein Soundhealing? Die Liebe? Etwas fehlt, du fehlst.
Ich brauche ganz eindeutig ein Hund, ein Kind, nein eigentlich nur eine Verantwortung. Am besten für mich.
Ich will wieder in Beziehung mit mir treten, an diesem hoffnungslosen Montag. Es hilft diese Story zu schreiben, wieder etwas zu wollen. Denn immer, wenn ich scheitere, dann kann ich schreiben. Meine Trauer und mein Schmerz finden hier Zuflucht, finden hier Trost durch Ehrlichkeit. Meinem Chef habe ich heute gesagt ich habe Zahnschmerzen, was auch stimmt. Aber sie sind nichts gegen meine Psyche, um die muss ich mich kümmern. Ein gebrochener Fuß wäre mir lieber, er wäre sichtbar. Euch kann ich es sagen: Es geht mir nicht gut. Ich weiß nicht wohin, ich spüre mich nicht. Die Umarmung meines Freundes ist schön, aber ich falle trotzdem auseinander. Was ich jetzt brauche, ist Zeit.
Zeit um mir diesen Rückfall zu verzeihen, und mir zu glauben, dass es besser wird. Ich habe überlebt. Das mag sich dramatisch anhören aber ich weiß genau, es war der Abgrund, der tiefe Abgrund, der ein Trauma mit sich trägt, und den ich nicht ertrage.
Das sollte ich ernst nehmen. Oder? Zwar ist noch Sommer, aber ich kann mich schon lange nicht mehr freuen. Ich fühle die Kastanie, sie ist bereit für Neues. Auch ich bin es: Ich muss eine Zeit weg, ich muss verschwinden und wieder auftauchen. Meine Geschichte finden, irgendwo da draußen – und euch davon erzählen.
© Annabelle Ferlings 2022-08-22