von gabrielle_b
Nach einem lebendigen Abend mit Freunden, Kir und Snacks schlendere ich gut gelaunt langsam nach Hause in meine kleine Montmartre-Gasse. Es ist Mitte Mai, jedoch kalt wie im November. Vor mir lĂ€uft ein junger Mann und knabbert genĂŒsslichen an einer Baguettestange herum. Ich mag seinen leichten beschwingten Gang.
Auf einmal schaut er sich um und schickt mir ein strahlendes LĂ€cheln. Ich lĂ€chle zurĂŒck. Pourquoi pas? Warum nicht? Wir teilen anscheinend den gleichen Weg. Jetzt bewegt er sich langsamer. Nicht ungern ĂŒberhole ich ihn, auch bewusst langsam. Wieder lĂ€chelt er mich an, ich zurĂŒck. Nun gehe ich vor ihm, Gleich werde ich meinen kleinen FuĂweg nach rechts nehmen. Doch bevor ich die StraĂe ĂŒberquere, um abzubiegen, muss ich wegen eines Autos anhalten. Er ebenso. Stille. FĂŒr Momente halte ich meinen Atem an. Auto weg, ich mache den ersten Schritt . Plötzlich, wie selbstverstĂ€ndlich geht er neben mir. âOh, wir sind Nachbarn?â lĂ€chelt er. Wortlos nicke ich verdutzt. Bisher sah ich ihn noch nie in meinem Quartier.
Immer wieder staune ich, wie leicht sich in Paris ĂŒberraschende GesprĂ€che mit attraktiven MĂ€nnern auf der StraĂe entwickeln.
Er sei SĂŒdlĂ€nder aus Tunesien, beginnt er. Fragt nun, woher ich komme. Bien sĂ»r, sicher will er mich einladen. Schon geht es los mit den charmanten Pariser AlltagslĂŒgen. Was ich denn an diesem Abend noch mache? Arbeiten. Aber die laue Nacht sei viel zu schön dafĂŒr. âWas arbeitest Du denn?â Er duzt mich ein bisschen zu schnell. Doch der melodische Klang seiner Stimme berĂŒhrt mich. Auf Französisch klingt fast alles charmant. Was ich arbeite? âJe passe un examen.â Ich stehe vor einem Examen. Ein erstauntes LĂ€cheln schaut mich an. Oh, plötzlich muss ich aufpassen, nicht laut loszulachen. Habe ich nicht vor Tagen erst das Wort âExamenâ falsch ausgesprochen, dass es nach ex-amant, dem frĂŒheren Liebhaber klang? Ein ex-amant sei nicht gut, versucht er mich zu ĂŒberzeugen. Ich klĂ€re den Irrtum auf und fĂŒhre zum vielleicht hundertsten Male meinen fiktiven Freund ein, mit dem ich wohne. Das scheint ihn nicht zu stören. Unbeirrt will er mich auf einen Wein einladen: Un rouge dans un nouveau bar branchĂ© du quartier,auf einen âRotenâ in einer In-Bar auf Montmartre.
Dramatisch lĂ€chelnd blicke ich in seine dunklen, unergrĂŒndlichen Augen. Jetzt kommt die geplante NotlĂŒge meinerseits. Es ginge leider nicht, da mein Freund auf mich warte. Leider gibt es diesen nur in meiner Fantasie.
Sie sind wirklich ausdauernd, ces dragueurs charmants, diese Pariser VerfĂŒhrer âIch bin Jamal und du?â ruft er mir zum Abschied seinen Namen zu. Meine Telefonnummer? âNon, merci, die gebe ich nicht mehr so schnell heraus, nach zu vielen nicht endenwollenden Versuchen Pariser MĂ€nner, mich trotz Pseudo-Freund oder Ehemann zu verfĂŒhren.
SchlieĂlich kritzelt er mir auf einen winzigen Zettel seine Telefonnummer. Mein Freund störe ihn nicht, er sei nicht eifersĂŒchtig. Was ich dazu meine, interessiert ihn allerdings nicht.
© gabrielle_b 2021-01-24