Nonverbal

Wolfgang Haidin

von Wolfgang Haidin

Story

Ich stehe in der U6 nahe dem „Kinderwagenparkplatz“, eine junge Mutter sitzt vor dem Kinderwagen, kein Blickkontakt zu ihrem Baby. Sie beschäftigt sich mit ihrem Smartphone, zwei Daumen huschen blitzschnell und zielsicher über den kleinen Bildschirm. Schreiben einen schnell wachsenden Text. Welchen kann ich nicht erkennen. Will ich auch nicht. Man ist ja diskret.

Ein süßes, aufgeweckt dreinschauendes Baby, vielleicht ein dreiviertel Jahr alt, blickt neugierig um sich, bewegt interessiert Kopf und Augen  in alle Richtungen, schaut mich (!) an, ich nehme die Brille ab. Das Baby lacht und gluckst, als ich sie wieder aufsetze, schaut mich gespannt an, was ich weiter mache. Ich nehme die Brille wieder ab … wiederhole das ganze mehrmals. Das Kind haxelt weiter, lacht, gluckst, strampelt heftiger, ist fröhlich.

Die Mutter kriegt von all dem nichts mit. Sie hat wohl einen ganz spannenden Kontakt auf ihrem Handy, der sie vollends in seinen Bann zieht und so der Wirklichkeit entreißt. Vielleicht der Kindesvater?Sie hat ein paar Minuten aus dem Leben ihres Kindes versäumt. Vielleicht ganz wichtige! Sicher sogar!

Bevor ich gehe, mache ich Krabbelspinnenbewegungen mit den Fingern. Die Mutter muss sie sehen, da ich nur einen halben Meter mit meinen Fingern von ihrem Gesicht entfernt bin. Sie merkt meine Kommunikation mit ihrem Kind. Blickt ihr Kind an, bemerkt dessen Freude. Schaut zu mir zurück. Fragend?

In ihren Augen lese ich so etwas wie: „Was tun Sie mit meinem Kind?“ Oder „Was geht Sie mein Kind an?“Ich nicke ihr freundlich zu. Das Kind strampelt, ist offensichtlich außer sich vor Lebensfreude. Ein so lebendiges Kind habe ich in der Form lange nicht gesehen!

In der nächsten Station muss ich aussteigen, kann es mir aber nicht verkneifen zu sagen: „Ich glaube, ihr Kind hätte Freude mit Ihnen, wenn Sie …!“

Ich lasse den Satz unvollendet. Vielleicht vervollständigt er sich automatisch in ihrem Kopf, lässt sie nachdenken. Ob sie nachträglich verstanden hat? Ihr Kind lächelt wohl noch immer. … Schade, dass ich das Kind wohl nie mehr sehen werde. Ich hätte mich als Opa anbieten können oder sogar müssen!

Beinahe hätte ich auf die Begebenheit in der U6 gestern vergessen. Aber nur beinahe! Meine Erinnerung hat dieses kleine Erlebnis wieder aus meinen Gedanken hervorgeholt. Ich glaube auch, dass ich diese Geschichte noch gar nicht ganz fertig geschrieben habe, müsste eine Art Aufruf starten: Liebe Mütter da draußen (und natürlich sind auch die Väter gemeint!), dem Handy ist es egal, wenn es nicht beachtet wird. …

© Wolfgang Haidin 2020-03-29

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