von Sonja M. Winkler
Meine Augen fahren die Konturen der weiblichen Körper-Schablonen entlang. Das Gewand der Figuren, ein Mustermix. Monochromer Hintergrund. Die Ausstellung im Kunstforum zeigt einen reprÀsentativen Ausschnitt ihres reichhaltigen Schaffens.
Kiki Kogelnik, eine Revoluzzerin. Sie verstarb mit 62 an Krebs.
Ich bekomme eine PrivatfĂŒhrung, denn meine Freundin H. ist pensionierte Kunsterzieherin. In den 1960er-Jahren, sagt sie, als KĂŒnstlerinnen rar waren, machten Frauen höchstens als Musen mĂ€nnlicher KĂŒnstler von sich reden. Aber der Monsignore Otto Mauer, erklĂ€rt sie mir, den musst du dir merken, der war ein kunstaffiner Geistlicher, dem die Avantgarde am Herzen lag. Er veranlasste, dass Kiki in der Galerie nĂ€chst St. Stephan ausstellen durfte, als eine der ersten Frauen.
Wir stehen vor Bildern, die Erinnerungen in mir wachrufen. Hier eine Frauenfigur mit aufgemalten Laschen, dort eine riesige Schere, die einen Körper entzweischneidet. Kiki, emanzipatorische Vorreiterin, war provokant. Liebte vieldeutige Anspielungen. Setzte die Frau als SchönheitspĂŒppchen in Szene. Anziehen, ausziehen.
Ich frage H., ob sie auch mit Anziehpuppen aus Karton gespielt hat. NatĂŒrlich, sagt sie. In irgendeiner Kiste gammeln noch welche herum. Beim nĂ€chsten Besuch sehen wir sie uns an.
Ich habe diese Papierpuppen geliebt. Nachmittags hockten meine Cousine und ich beieinander, lösten die Figuren entlang der perforierten Linien aus den Bastelbögen und behĂ€ngten sie mit verschiedenen KleidungsstĂŒcken. Die Laschen bogen wir zurĂŒck, damit das Gewand hielt und nicht hinunterrutschte. Diese âHangingsâ machten SpaĂ.
Kiki Kogelniks Hangings sind anderer Art. Ausgeschnittene Körperformen aus buntem Latex, geworfen ĂŒber KleiderbĂŒgel aus Draht.
Ein GroĂteil der Werke katapultiert uns zurĂŒck in die 1970er-Jahre. Ich habe 1973 maturiert. Mein Maturajahrgang feiert heuer sein 50-jĂ€hriges JubilĂ€um. Kaum zu fassen. Wo sind die Jahre geblieben?
GroĂe UmwĂ€lzungen, die das GeschlechterverhĂ€ltnis betrafen, waren damals im Gange. Der Schwangerschaftsabbruch wurde entkriminalisiert. Die Pille als VerhĂŒtungsmittel kam in Mode.
In der 8. Klasse nahmen wir in Naturgeschichte die Pille durch. Ein ganzes Trimester erklĂ€rte uns Professor Z. in allen Einzelheiten, wie sie wirkt, wie sie den Zyklus beeinflusst. Zwei Klassenkolleginnen wĂ€hlten das Thema sogar zur mĂŒndlichen Matura. Doch der Vorsitzende, ein Ă€lterer Herr mit konservativer Einstellung, erhob Einspruch. Die Pille als Maturathema, ein No-go. Ein Skandal.
Im Herbst ging ich nach Wien. An der Uni wurde ich noch mit âFrĂ€uleinâ angesprochen. Diese Anrede fiel. Die sexistische Sprachverwendung wurde angeprangert, Gleichbehandlung angestrebt. Gesetze wurden geĂ€ndert. Bis 1975 mussten Ehefrauen ihren Mann noch um Erlaubnis bitten, wenn sie wieder ins Erwerbsleben eintreten wollten.
You see, lots of things have happened, PĂŒppchen.
© Sonja M. Winkler 2023-03-05