von Gossengoethe
Ich bin generell ein Mensch, der gutes Essen schätzt, den Verzehr immer schon und die Zubereitung etwa seit meinem 13.–14. Lebensjahr auch. Mit, zugegeben durchaus muskulösen, knapp dreistelligen Kilo auf der Waage hat man einen Ruf zu verlieren! Deshalb wähle ich für meine Weihnachtsgeschichte auch, wie sollte es anders sein, mein liebstes Weihnachtsessen aus, um darüber zu schreiben.
Das ist nun nicht etwa das prächtige Gansl, das üppige Fondue oder Raclette mit 28 Saucen oder irgendeine andere Art von aufwändiger Fressorgie, die zuzubereiten man morgens um 6 aufstehen muss, damit man gerade so am Abend fertig wird. Nein, mein Weihnachtsessen, das für mich wie von Zauberhand Weihnachtsstimmung schafft, die ich in jeder Faser meines Körpers fühle, ist eine simple, kräftige, aus knochenlastigem Rindfleisch gesottene Nudelsuppe mit Würschtl. Natürlich mit Engelhaarnudeln; kleine Mascherln oder Sternchen notfalls unter Protest akzeptiert. Als Würschtl zwingend frische Frankfurter vom Metzger, in grundschulkinderfingerbreite Rädchen geschnitten.
Woher aber kommt dieser Hang zur Suppe am Heiligabend? Arm oder auf Diät waren wir nicht; nach der Bescherung wurde in Keks- und Punschdekadenz geschwelgt und am 25. sowieso den ganzen Tag gespachtelt. Nein, dieses einfache Gericht war ein Kompromiss zwischen dem Bedarf, nach den emsigen Vorbereitungen tagsüber schnell etwas Warmes ins Bäuchlein zu bekommen, und der Angst, wenn wir länger als eine halbe Stunde essen platzt der arme Junge uns vor Vorfreude. Beides zufriedenstellend erfüllt!
Ob dann unterm Christbaum die neue Nintendokonsole oder ein gestrickter Pullover lagen, ob dem Peter Rapp im Fernsehen zugeschaut oder die Youtube-Weihnachtsplaylist angeworfen wurde, davor gab es bis zu dem Zeitpunkt meines Auszugs (und für das Schwesterlein und die Eltern noch immer) stets die legendäre Nudelsuppe mit Würschtl. Ein Fixstern des Gossengoethe’schen Weihnachtsuniversums, wenn man so will.
Dass diese Speise so eng mit dem Zauber der Weihnacht verknüpft wurde, hat auch angenehme Nebeneffekte. Nun erwachsen, habe ich die Tradition nicht weitergeführt, es gibt auch am Heiligabend recht imposantes Essen, doch dafür bekomme ich jedes Mal, wenn mir unterm Jahr bei Freunden und Bekannten oder im Restaurant eine Nudelsuppe mit Würschtl vorgesetzt wird (als klassische, mit wenig Aufwand günstig zu habende Vorspeise nicht selten) während der zehn, fünfzehn Minuten, die ich zum Essen brauche, bei jedem Löffel dieses gar einmalige, wohlige, geborgene, nicht in verständliche Worte zu fassende Gefühl des kleinen Jungen, der gleich viele Geschenke auspacken und mit weit mehr Enthusiasmus als Tonfestigkeit Stille Nacht im Kerzenschein trällern darf.
Mein kleiner Rinderbrühen-basierter Glückshormonknopf, zum immer wieder drücken, ohne dass es bis auf das breite Lächeln jemand merkt. Mein kleines Nudelsuppen-mit-Würschtl-Weihnachtsgeheimnis!
© Gossengoethe 2021-12-10