von P-Hildegardsen
Mein Einstieg in die Berufswelt war speziell. Da ich nicht die Ausbildung machen durfte, die ich wollte, mußte ich mir etwas anderes überlegen. Mein Vater hatte so seine Ideen zur Berufswahl und da er ja die Ausbildung damals bezahlen sollte, mußte ich also klein beigeben. Als Zweitwunsch hatte ich das Modezeichnen. Und unglaublicherweise war damals bei uns im Ort sogar in einer Modefirma (Blusen, Tücher, Schals usw) eine Stelle frei. Ich sollte die Abfolgen im Lager kennenlernen, dann ins Büro wechseln und würde nebenbei die Ausbildung zur Modezeichnerin erhalten. In dieser Eigenschaft dürfte ich mit der Chefin zu den internationalen Modeschauen fahren und sollte dort abzeichnen. Deshalb war die Frage, ob ich „schnell und verdeckt“ zeichnen könnte. Schweren Herzens habe ich abgesagt. Meine Intuition riet mir, die Finger davon zu lassen.
Ich kam dann in eine ganz andere Branche, die eigentlich eine Männerdomäne war. Ich lernte an den Wochenenden und Abenden, weil ich von dem Thema keine Ahnung hatte. Ich besuchte einschlägige Veranstaltungen, interviewte jene, die bereits lange Jahre mit dem Thema zu tun hatten und bekam allmählich nicht nur ein Gefühl dafür, sondern entwickelte auch Enthusiasmus. Ich wollte meine Arbeit immer gerne machen. Im Laufe der Jahre gelang es mir, eine gute Positionierung unserer Firma damit zu erreichen. Wiewohl mein Stern innerhalb der Firma deutlich zäher aufging, als das Ansehen außerhalb vermuten ließe. In der Firma war es ein Nachteil, eine Frau zu sein, das hatte mir schon die Archivleiterin erzählt und auch in anderen Abteilungen war es deutlich über die Jahrzehnte hinweg zu beobachten.
Ich hatte dann meine eigene Abteilung, mein eigenes Budget, die entsprechenden Visitenkarten udgl. Das verpflichtete natürlich zu noch mehr Einsatz. Und ich mußte solch einen unsäglichen All-in-Vertrag unterschreiben, wonach ich keine Überstunden extra bezahlt bekomme. Mein Vater machte sich Sorgen. Wenn ich einmal zuhause auf Besuch war, konnte ich meine Müdigkeit kaum verbergen, schleppte einen Koffer voll Arbeit mit. Ich war in einem Hamsterrad gefangen, das mich irgendwann ausspucken würde. Damals prägte mein Vater den Begriff der „nützlichen Idioten“. Wir würden im Berufsleben von den höheren Chefs getrieben und gedrängt, immer stehe ausschließlich der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund. Es müßten Dividenden ausgeschüttet werden, auch wenn grade eine Flaute herrscht. Die Leidtragenden sind die Angestellten, die Mitarbeiter. Es werden in größeren Firmen extra „Optimierer“ eingestellt, die durch Abteilungszusammenlegungen, Auflösungen und ähnliche Aktionen den Gewinn der oberen Etage steigern sollen. Vertrakte Verträge für die obersten Chefs garantieren denen Boniauszahlungen, auch wenn sie den Laden an die Wand fahren. Und wir Kleingeister radeln und strudeln für die Firma, weil die Hoffnung auf einen sicheren Arbeitsplatz eben einen Einsatz braucht ?!
© P-Hildegardsen 2019-10-22