Nur aus Versehen!

Maria Büchler

von Maria Büchler

Story

Wie, du kennst kein Kratzhändchen? Juckt dein Rücken nie an unerreichbaren Stellen? Schön für dich! Bereits in grauer Vorzeit, als noch Flöhe und Läuse die menschlichen Körper zu besiedeln pflegten, benutzte man dünne Holzstangen, um sich unter den Kleidern zu kratzen. An deren Ende war eine kleine Hand mit gebogenen Fingern angebracht. Sogar die feine Gesellschaft kannte diesbezüglich keine Hemmungen. Wo doch tägliche Körperhygiene als höchst ungesund galt!

Unser Nachbar Herr Holzer litt schrecklich unter diesem lästigen Jucken. Als er von den Rückenkratzern erfuhr, begann er gleich zu suchen. Weil er sich gerade auf Dienstreise in Wien aufhielt, startete er dort. Ihm schwebte ein schönes Gerät aus glänzendem Messing vor.

Holzer fragte in Souvenirstuben, Geschenkboutiquen, Spielwarenhandlungen. Vergeblich. Meist wusste keiner, wovon eigentlich die Rede war.

Immer öfter wies man ihn zu Antiquitätenhändlern und Ostasienhäusern. Denn erstens seien solche Dinger längst überholt. Niemand habe mehr eklige Läuse in der Kleidung, wäre ja noch schöner. Und zweitens kämen die Rückenkratzer aus Asien und seien in Thai Shops und Philippine Corners zu finden.

Dort wieder schickte man unsern armen Nachbarn in eine Devotionalienhandlung. Man habe sowas in der Auslage gesehen.

Holzer eilte beflügelten Schrittes ein paar Gassen weiter. Auf die paar hundert Meter kam es seinen schmerzenden Füssen nicht mehr an. Leider stellte sich heraus, dass ein sogenannter Lesefinger gemeint war, ein fast sakrales Gerät, ein Lesezeichen für die Thora oder die Bibel. Sich damit den Rücken zu kratzen, wäre einer Blasphemie gleichgekommen und unter Umständen auch in der Länge nicht ausreichend.

Herr Holzer schlich beschämt von dannen. Beim Trödler glaubte er, an der richtigen Stelle zu sein. Doch der Inhaber schlug sich in dem stickigen Gewölbe vergnügt auf die Schenkel und lachte:

„Sie sind lieb! Da suche ich schon seit Jahren für mich ein Kratzhändchen. Sie kommen ausgerechnet zu mir? Wenn Sie eines gefunden haben, dann nehmen sie gleich noch ein Dutzend für mich dazu.“

Rein zufällig entdeckte unser Nachbar den gesuchten Gegenstand, hinter der Tür einer Trafik in einem Schirmständer stehend. Freudestrahlend trug er ihn ins Hotel – und vergass ihn am nächsten Morgen bei der Abreise. Da half auch keine Rückfrage beim Zimmermädchen.

In einem Accessoiregeschäft unserer Kleinstadt wurde Holzer fündig. Das Ding war nur aus dünnem Rattan und völlig überteuert. Doch als nun seine Suche endlich von Erfolg gekrönt war, erzählte er uns glücklich den ganzen Hergang.

Natürlich feierten wir abends mit ihm. Der Rückenkratzer lag auf einem Kissen und wurde von uns immer wieder gebührend bestaunt. Eigentlich unnötig zu sagen, dass sich bei fortschreitend gelöster Stimmung und zu vorgerückter Stunde einer von uns ausgerechnet auf dieses Kissen setzte. Aus Versehen, versteht sich. Nur aus Versehen!

© Maria Büchler 2020-08-11

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