von Bernd Schreiber
Ich bin kein Weihnachts-Grinch, aber Weihnachtsbäume kaufen und aufstellen ist nicht meins. Schon mein Vater mochte es nicht, von daher hat es sich wohl genetisch und auch anerzogen auf mich übertragen.
Er war 5-Minuten-vor-Zwölf-Käufer, auch wegen des Rabatts beim Verkäufer, der den letzten Baum loswerden wollte. Meist erwarb er keinen Traum von einer Fichte, sondern einen Baum mit fehlender Dichte. Erklecklich viel weitere Nadeln verlor er auf dem Transport, vor allem die 4 Stockwerke zu uns rauf, denn es gab noch keine Netze und man band notdürftig Strippe drum. Oben angekommen, versuchte mein Vater den Baum in den Ständer zu stellen, was misslang, weil der Stamm zu dick war. Meine Mutter fegte derweil im Treppenhaus die Nadeln auf, damit die Leute nichts sagten.
Das Ritual hat sich auf mich übertragen, nur, dass ich ihn rechtzeitig bei noch großer Auswahl kaufe. Nachteil ist, dass ich gefühlt jeden Baum der Verkaufsstation dort aufstellen und ihn zur Begutachtung meiner Begleitung mehrmals im Kreis drehen muss.
In dem Jahr hatten wir unseren Baum früh gekauft und ließen ihn noch draußen, damit er nicht unter der Zimmerwärme litt. Schließlich holten wir ihn rein und … er nadelte quasi beim Zugucken. Wir warteten mit dem Schmücken, aber es wurde nicht besser. Egal wie man ihn drehte, er sah irgendwie Sch … aus. Nö, so eine Trauertanne wollten wir nicht zu Weihnachten und schmissen ihn kurzerhand auf die Straße neben unserem Grundstück. Vielleicht hatte ja jemand kein Geld oder erbarmte sich seiner einfach. Wir wollten stattdessen schöne große, geschmückte Tannenzweige in eine Vase stellen.
Marion und ich mussten beide noch bis zum letzten Tag vor Weihnachten arbeiten und meinten bei Ab- und Anfahrt aus den Augenwinkeln im Dunkeln, dass er immer noch da lag. Ein bisschen tat er uns doch leid.
Die Zeit wurde knapp und es galt, Tannenzweige zu besorgen. Am besten direkt aus dem Wald, der vor unserer Tür lag. Es war saukalt und mit Säge, Astschere und Schleppen sicher aufwändig. Na egal, wir raus und ach, da liegt ja immer noch unsere Trauertanne. Irgendwie komisch, hat die einer ausgetauscht? Sie sieht doch von der Seite gar nicht so schlecht aus. Ich stelle sie auf, drehe sie und ich schwöre, wir hatten das Gefühl, dass sie seit dem Rauswurf nicht nur keine Nadel mehr verloren, sondern noch zusätzlich welche hatte (ein Weihnachtswunder?). Sie sah jedenfalls voller aus, satter grün, vielleicht wegen der Feuchtigkeit und kühlen Temperatur. Was wissen wir, wir schauten uns an, nach dem Motto: Wir können doch nicht. Doch wir können. Es guckte hoffentlich keiner, jedenfalls zottelten wir unseren Todgeweihten wieder rein, stellten ihn aber schlauerweise nicht innen, sondern vor dem Wohnzimmerfenster im Garten auf. Sicher mussten wir ihn auch dort präzise so drehen, dass er wenigstens von drinnen passabel aussah. Wo nicht, half Schmuck nach. Für die Nachbarn muss der Anblick eher traurig gewesen sein, aber das war uns egal.
© Bernd Schreiber 2022-12-24