Mittlerweile war es stockdunkel geworden. Luise gähnte, sie war nach dem aufregenden Tag früher als sonst zu Bett gegangen. An ihren Haaren hing der Duft der gebackenen Kekse. Tommy trottete hinter ihr her und legte sich zu ihr am Bettrand. Vor Müdigkeit fielen ihr schnell die Augen zu, während ihr Kinder CD- Player leise Weihnachtslieder spielte. Sie träumte von kleinen Engeln, die Lichterketten in der Hand hielten, von Hunden, die auf ihrem Kopf Mützen von Weihnachtsmännern trugen und von Nussknackern, die wild mit ihren Säbeln kämpften. Sie klappten zähnefletschend ihre großen Münder auf und zu, warfen mit Walnüssen um sich und rauften sich um eine Eisprinzessin, die auf einem Bein tanzend in Kreisen den Nussknackern auswich. Im Schlaf drehte sich Luise aufgeregt einmal nach links, dann wieder nach rechts, schleuderte die Decke von sich und brabbelte vor sich hin. Tommy wiederum zuckte mit allen vier Pfoten und bellte in hohen Tönen vor sich in. Luises Mutter bemerkte die Unruhe im Zimmer ihrer Tochter und sah nach. Sie lächelte, als sie beide traumerlebt sah. Sie ließ die Türe einen Spalt offen, als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte. Kurz danach schlief sie wieder ein.
Auf einmal waren seltsame Geräusche in der Wohnung zu vernehmen. Tommy spitzte die Ohren, erhob sich langsam und machte ein paar Schritte zur Tür. Dann schob der die Schnauze durch den Türspalt und schlich hinaus. Rums, dann ein Knarren, flackerndes Licht, dann wieder Stille, als ob jemand den Atem anhielt. Plötzlich “Sch….”, ein schiebendes Geraschel, schließlich auffällige Ruhe. Luise und ihre Mutter trafen sich unter der Zimmertüre. Margarethe deutete Luise an, nichts zu sagen. Auf Zehenspitzen tasteten sich beide in die Richtung, aus der der Krach kam. Mit lautem Knall fiel etwas auf den Boden. Luise zuckte zusammen und griff nach der Hand ihrer Mutter. Knurren und kehliges Grollen war hinter der Wohnzimmertüre zu hören. Margarethe riss mit einem Ruck die Türe auf, machte Licht und sah die Bescherung. Mann und Hund waren über die gebackenen Nussknacker hergefallen, Tommy biss in die Köpfe der hölzernen Figuren und warf sie mit schüttelnden Bewegungen hin und her. Luises Vater aß mit Genuss die frisch gebackene Nussknackergarde, wobei er Tommy Bruchstücke hinwarf. Zuerst war Luise wie gelähmt, dann warf sie sich tobend auf ihren Vater und schlug mit den Beinen nach Tommy. Nur mit Mühe konnte Margarethe ihr Kind beruhigen, nahm sie auf den Arm und trug sie in die Küche.“Schau, Liebes“, dabei streichelte sie ihr das Haar,“ich kenne doch Papa und Tommy zu gut, um nicht zu wissen, dass in der ersten Nacht die Kekse keine Chance zu überleben haben. Aber -sie machte eine Pause- ich habe ein Versteck!” Luise sah sie groß an. Margarethe holte einen Schlüssel aus der Zuckerdose, mit dem sie eine Schranktüre aufsperrte. Vor Luise lagen ihre köstlichen Nussknacker. Sie griff danach und steckte sich freudig grinsend einen in den Mund.
© Sonja Runtsch-Dworzak 2021-11-30