Obsession

Anna-Elena

von Anna-Elena

Story

„Jonas?“, fragt sie und lächelt mich an. Ihr Lächeln ist wunderschön. Sie hat perfekte, strahlend weiße Zähne.

„Ja“, sage ich und muss mich räuspern. Sie macht mich verlegen. Erneut lächelt sie und schreibt meinen Namen auf den Becher. Mein Blick wandert zu dem Namensschild, welches vorne an ihrer grünen Schürze befestigt ist. Sie heißt Kati. Ein passender Name für sie. Er klingt irgendwie süß. Und Kati sieht irgendwie süß aus. Sie hat eine Stupsnase, Sommersprossen und haselnussbraune Augen. Ihr Haar hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Ich wette, dass sie es nach der Arbeit im Coffee Shop offen trägt. Zu gerne würde ich wissen, wie es sich anfühlt.

„Dein Caramel Macchiato ist gleich fertig“, meint Kati. Ich will mich bedanken, doch sie hat sich bereits dem nächsten Kunden zugewandt. Es ist ein Mann, ungefähr in meinem Alter. Ich bin mir sicher, dass sie ihn nicht so anlächelt, wie sie mich angelächelt hat. Sie steht bestimmt nicht auf diese Fitnessstudio-Angeber-Muskeln. Nein, Kati ist schlauer als die anderen Mädchen. Sie sieht hinter die Fassade der Menschen. Sie erkennt, was für ein Armleuchter dieser Kerl ist.

Ich zahle bei einer Kollegin von Kati und warte auf meine Bestellung. Die Kollegin beachtet mich kaum. Sie ist das Gegenteil von Kati. Irgendwie künstlich. Die Haare sind gefärbt, die Nägel gemacht und sie hat diese extrem langen Fake-Wimpern, die sich manche Frauen aufkleben.

Während ich warte, schaue ich Kati bei der Arbeit zu. Sie ist eine natürliche Schönheit. Wenn überhaupt, dann ist sie nur dezent geschminkt. Mehr hat sie auch nicht nötig. Aber es ärgert mich, dass sie mich nicht mehr ansieht. Habe ich mich etwa in ihr getäuscht? Ist sie doch genau wie die anderen Mädchen? Erst lächelt sie mich an, sendet mir eindeutige Signale – nur um mich dann zu ignorieren? Oder gehört das zu ihrem Spiel? Vielleicht will sie die Unnahbare mimen, damit ich nicht denke, dass sie leicht zu haben ist.

„Jonas?“, ruft ihre Kollegin und hält einen Kaffeebecher über den Tresen. Ihre Stimme klingt nervtötend. Mein Name aus dem Mund von Kati hat sich viel schöner angehört. Ich nehme ihr den Becher aus der Hand. Dabei bin ich etwas zu hastig, und ein paar Tropfen von dem heißen Getränk landen auf dem Tresen. Es ist mir unangenehm und ich mache, dass ich aus dem Laden komme.

Draußen schaue ich auf den Pappbecher. Neben meinen Namen hat Kati einen lachenden Smiley gemalt. Mein Herz beginnt zu klopfen und ich schaue durch die Fensterscheiben. Da steht sie, Kati, meine Kati. Sie hat also doch an mich gedacht. Einen Smiley malt man nicht auf jeden Becher. Ich weiß jetzt, dass wir zusammengehören, Kati und ich. Vielleicht sollte ich ihr eine heimliche Nachricht hinterlassen. Aber ich will nichts überstürzen. Sie nicht erschrecken. Ich werde hier warten, im Schatten, nur um zu sehen, wann sie Feierabend hat. Dann werde ich wiederkommen, gleich morgen, verspreche ich Kati in Gedanken. Und danach jeden Tag.

© Anna-Elena 2022-04-09

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