Ode an ein Haus

Liebes Haus,

leicht bist du nicht zu finden, gibt es doch keine Straßenbezeichnung, die zu dir führen würde. Nur eine Nummer. Haus Nr. 137. Je nach Fertigstellung wurde den Häusern die jeweilige Nummer verpasst. So stehst du neben 138 und 92. Das eine kurz nach dir erbaut, das andere 50 Jahre früher.

Deine Erzeuger machten sich nicht viele Gedanken über dein Aussehen, musstest du doch quasi aus dem Nichts mit Nichts erschaffen werden. Trotzdem warst du wahrgewordener Traum. Eine Unterkunft mit mehreren Zimmern und, absoluter Luxus, sogar Badezimmer und WC.

Liebes Haus, viel hat sich getan seit wir dich nun unser Eigentum nennen dürfen. Du bist Familienbesitz und ich kenne dich somit schon über 60 Jahre lang. Ups, jetzt hab ich dein Alter verraten, verzeih altes Haus. Okay, eigentlich haben wir uns deiner erbarmt, wollte dich doch keiner. So abgeschieden im Graben.

Liebes Haus, ich als deine Besitzerin in dritter Generation, gebe zu, die Liebe war nicht gleich da. Zuwenig haben wir dich gekannt. Bei so einer Wochenendbeziehung kann keine echte Liebe entstehen. Zuwendung ja, aber wir waren doch mehr Besucher.

Liebes Haus, alles hat sich geändert, seit wir in Pension sind. Du hast es auch bemerkt. Geduldig hast du unsere Renovierungsarbeiten über dich ergehen lassen, strahlst jetzt förmlich von innen und hüllst uns ein mit deiner Wärme. Fenster sind die Augen eines Hauses und mit diesen blickst du hinunter ins Dorf, auf die Dächer der Häuser, die sich um den Kirchturm gekuschelt haben. Wichtig steht er in ihrer Mitte und sein Glockengeläut klingt bis zu dir herauf. Drei Kühe grasen jedes Jahr auf der Wiese vor dir und gemeinsam blickt ihr hinauf auf Fichten, Tannen und Lärchen und die Alm, die in der Ferne zu erahnen ist.

Liebes Haus, du bist nicht auf der Sonnenseite des Lebens erbaut worden. Hadere nicht länger damit, denn seit es Jahr für Jahr wärmer wird, haben wir deine wahren Qualitäten erkannt. Mag es draußen noch so heiß sein, du behältst deine vornehme Kühle und dafür lieben wir dich inzwischen sehr. Auch dein Äußeres, liebes Haus, Kompliment, die Schönheit kommt mit dem Alter und einige kosmetische Eingriffe haben dir sehr gut getan. Der wilde Wein gibt dir ein verwegenes Aussehen und hat es schon bis zum Balkon geschafft. Kletterrosen umschmeicheln dich und der vor einigen Jahren dazu gebaute Wintergarten, gibt dir einen mondänen Anstrich.

Liebes Haus, du kleine Steirerin, ich möchte mich bei dir bedanken, einfach dafür, dass du da bist, mit all deinen Eigenheiten, Launen und unerwarteten Katastrophen. Gemeinsam werden wir unsere letzten Schritte gehen, so wie bereits zwei Generationen vor uns. Fürchte dich nicht liebes Haus, die vierte Generation wird dich übernehmen. Zuwenig kennt ihr euch noch, doch wie du weißt, Liebe muss wachsen, wir müssen ihr Zeit geben.

Liebes Haus, ich freue mich auf noch viele Jahre mit dir.

©️ the watcher, eine Netflix Serie.