Odysseus aus Bagdad

Sabine Benedukt

von Sabine Benedukt

Story

Im Sommer 2015 habe ich mich beim Wandern oft gefragt, was sich jene Menschen denken müssen, die über die Balkanroute über Ungarn oder über das Mittelmeer und Italien nach Österreich kommen. Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, weil sie keine Perspektiven hatten. Weil Krieg und Gewalt in ihrem Land herrscht, oder das Land so vertrocknet ist, dass da gar nichts mehr wächst und sie hungern müssen.

Wenn sie dann also im Sommer nach Österreich kommen, durch die Landschaft gehen, wo der Mais hoch und dicht wächst, wo die großen Kürbisse auf den Feldern liegen, die Weintrauben bald reif sind und schon blau leuchten, das Getreide sich golden im Wind bewegt, was müssen sie von uns Europäern denken? Von den Menschen, die die Zäune um ihr Land immer höher werden lassen. Sie müssen uns selbst um den Regen beneiden. Oder wie würden wir Europäer das sehen, wenn es umgekehrt wäre? Wenn wir in so einer aussichtslosen Lage wären und Schutz suchen würden?

Eric Emmanuel Schmitt hat mir mit seinem Buch „Odysseus aus Bagdad“ die Antwort darauf gegeben. Er beschreibt die Flucht eines jungen Mannes aus Bagdad. Lange harrt er in Bagdad aus, muss mit den politischen Wirren, dem Krieg und dem Embargo leben. Er und seine Familie leiden Hunger, sein Vater wird ermordet, bis er sich schließlich um seiner Mutter willen doch auf den Weg macht, nach England, um seine Familie zu retten. Er heißt Saad Saad, was auf Arabisch „Hoffnung Hoffnung“ und auf Englisch „traurig traurig“ heißt.

Eric Emmanuel Schmitt beschreibt also diese dramatische Reise von Saad Saad, der sich mit Angst, aber doch auch Hoffnung auf den Weg macht und dabei viel Trauriges erlebt. Er überwindet Grenzen, kämpft gegen das stürmische Meer und landet endlich in Frankreich.

Max nimmt ihn dann mit dem Auto von Frankreich aus mit in nördliche Richtung. Saad fährt erstmals durch ein europäisches Land und kann nicht glauben, wie grün es ist, „dass es irgendwo auf der Welt so viele verschiedene, üppige, ertragreiche, gut bewässerte Felder gab, und noch weniger, dass eine Landschaft existiert, in der so viele Schlösser, Kirchtürme und Wälder ihren Platz haben“. Er beneidet die Tiere auf der Weide, die satt und ruhig im Gras stehen. Vieles was seine Augen aufnehmen kann er gar nicht fassen. Er möchte wissen, ob es in Frankreich überall so ist, „so luxuriös wie die Ländereien eines Tyrannen“? Max erklärt ihm dann, dass dies die Länder eines Volkes sind und Saad antwortet: „Ein so glückliches Volk beklagt sich sicher nie?“ Worauf im Max antwortet „Es beschwert sich die ganze Zeit“.

© Sabine Benedukt 2021-11-17

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Dunkel, Inspirierend
Hashtags