von Luciana_Sajokava
Der Junge, den Najamas grüne Augen erblickten, war eigentlich unauffällig. Lockiges braunes Haar, das ihm um die Schultern spielte, die Uniform. Doch da war ein Detail: die große Brandnarbe links im Gesicht. Er war es, der Herr Warsha und ihn beobachtet hatte, da war Najama sich sicher. Es musste so sein. Wie viele Leute liefen denn sonst mit solch einer Narbe herum? Ganz ruhig; tief durchatmen. Nur weil du ihn gesehen hast heißt es nicht, dass er dich gesehen hat. Und selbst wenn, vielleicht erkennt er dich nicht wieder. Leicht zittrig ging Najama also auf seinen neuen Platz.
„Hi, ich hoffe, wir können Freunde werden.“
Najama streckte seine Hand aus. Zwar ergriff sein Nachbar diese nicht, lächelte aber schwach.
„Oliver.“
Seine Stimme klang normal, er schien Najama also wirklich nicht zu erkennen. Der Teenager atmete durch. Das war schon einmal gut. So lief der Unterricht wieder an, bis Najamas Aufmerksamkeit abermals von Oliver in Beschlag genommen wurde, als dieser leise zischte.
„Halt deine Füße still, das Gewackel nervt.“
Najama versuchte, der Bitte nachzukommen. Immer wieder jedoch scannte er das Gesicht des Anderen ab. Vielleicht ist der Nachname auch einfach nur Zufall, versuchte er sich einzureden. Doch warum war Oliver dann an jenem Tag da gewesen?
Nach der Stunde wurde der Neue natürlich erst einmal mit Fragen gelöchert, auf die Najama freundlich, aber ausweichend antwortete. Aus den Augenwinkeln bekam er mit, dass Oliver ihn immer wieder abschätzend anschaute. Wie als ob er versuchte, Najama einzuordnen. Er beschloss, darauf mit einem Lächeln zu Antworten. Doch statt dieses zu erwidern stand Oliver auf und verließ den Raum, bis die Nächste Stunde begann.
So gingen die erste Hälfte des Tages vorbei, bis es zur Mittagspause läutete. Najama bekam von einigen Mitschülern das Angebot, mit ihnen in die Kantine zu gehen. Das nahm er natürlich an; immerhin wollte er ja ein paar Kontakte knüpfen. Und es wäre eine gute Möglichkeit, etwas über jemand gewissen in Erfahrung zu bringen. So gingen sie, um sich ihr essen zu holen. Oliver jedoch war nicht dabei.
In der Cafeteria hielt er sich jedoch erst einmal zurück. Er war das erste Mal in einer öffentlichen Kantine und hatte keine Ahnung, wie das so ablief. Er konnte es sich jedoch auch nicht leisten, aufzufliegen. So ließ Najama mit einem Lächeln den Anderen den Fortritt, welche dies glücklicherweise als nette Geste auffassten. Najama beobachtete ganz genau, was sie taten, um ihre Handlungen kopieren zu können. Danach setzten sie sich und begannen zu Essen. Najama lauschte der entstandenen Unterhaltung, um die Leute genauer unter die Lupe nehmen zu können. Eines der Mädchen fiel ihm besonders auf. Sie hatte blondes Haar, welches an den Spitzen blau gefärbt war. Zusammen mit ihm war sie wohl der bunte Vogel der Klasse. Ihr Name war Dakota.
© Luciana_Sajokava 2023-05-26