Olga von der Wolga

Story

Sie ist aus Wolgograd und eine von zwei meiner russischen Olgas. Die zweite ist von der Newa, also aus St. Petersburg, frĂŒher Leningrad, noch frĂŒher St. Petersburg. Der alte Name ist zurĂŒck. Wolgograd hieß einmal Stalingrad. Noch vorher hieß die Stadt Zaryzin.

Mein Eindruck ist ja, dass die eine HĂ€lfte aller Russinnen Olga heißt, die andere Natascha und die dritte HĂ€lfte Lena, oder meinetwegen auch Polina. Jedenfalls von zwei Russinnen, die ich wirklich nĂ€her kenne, heißen zwei Olga. Doch eine relativ hohe Quote. Das l in diesem Olga, wie ĂŒberhaupt das russische l, wird sehr weich gesprochen, zĂ€rtlich, gerollt. Schwierig. Ich verbrachte ein ganzes Semester damit, es richtig ĂŒber die Zunge zu „derrollen“. Womit ich schließlich tatsĂ€chlich in Phonetik im ersten Semester ein „sehr gut“ einfuhr, denn der alte, tiefbeseelte russische Native Speaker war von meinen BemĂŒhungen gerĂŒhrt. Er lĂ€chelte mich immer aufmunternd an, wenn ein l im Anrollen war, ein bisschen musste er auch immer lachen. Meiner Zeugnisnote hat es gut getan. Er sah ĂŒbrigens aus wie „Ded Moroz“, VĂ€terchen Frost, mit roten WĂ€ngelchen zu allen Jahreszeiten. Ein echter russischer Schatz, dem ich meinen unbedingt fĂŒrs Stipendium nötigen Notendurchschnitt fast zur GĂ€nze verdanke.

Also, Olga, die Erste. Sie traf ich in Graz im CafĂ© in der Buchhandlung Moser. Sie war mir „zugeteilt“ worden von einem Mann, der viel fĂŒr die österreichisch-russische Freundschaft tat und immer wieder Menschen suchte, die bereit waren, Besucher fĂŒr ein paar Tage aufzunehmen, ihnen Stadt, Land & Leute zu zeigen. Olga war fĂŒr ein halbes Jahr im Gymnasium HIB Liebenau in Graz. Gegen Ende ihres Aufenthalts kam ihre Mamotschka, holte sie ab, um ihr mit dem GepĂ€ck zu helfen. Ich fragte wieso, sie ist doch schon „groß“? Da zeigte die zukĂŒnftige Babuschka verschĂ€mt auf Olga’s Bauch, der mir noch gar nicht aufgefallen war. Da drin wuchs schon „etwas“, das spĂ€ter zĂ€rtlich Arinka heißen sollte. Dieses hĂŒbsche Debutschkerl kam mit 3 Jahren erstmals zu Besuch. Sie landeten um Mitternacht in Wien. Ich war mit meiner Mom zur Abholung hingefahren. Arinka stieg aus, lief los, eroberte unsere Herzen im Sturm.

Mittlerweile ist Olga stolze Mutter dieser wunderschönen 13-JĂ€hrigen, die „nebenbei“, also neben dem Gymnasium, 6 Stunden am Tag und 6 Tage in der Woche Akrobatik trainiert. Ihre Glanznummer ist eine atemberaubende Hula Hoop-Raserei mit 10 Ringen an allen ExtremitĂ€ten, auch am Hals. Sie ist ausnehmend hĂŒbsch und möchte, sobald es irgendwie geht, zum Cirque du Soleil. Sie ist am besten Weg dorthin, aber momentan bewegt sich leider alles wieder auf eine Eiszeit zu. Nicht zuletzt dank Sleepy Joe Biden.

Jetzt hab ich ganz auf Olga vergessen. Die opfert sich auf. Arbeitet 10 Stunden tÀglich, 7 Tage die Woche. Alleinerziehend. Ein typisch russisches Frauenschicksal. Ehrgeiz und Aussicht auf Reisen in die ganze Welt, mit einer Tochter, die dem Staat alle Ehre machen wird als Artistin, sind ihr Antrieb.

© 2021-03-29

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