Oma

Martina Braunegger

von Martina Braunegger

Story

In meiner Version von dir wirst du immer ein hellblaues Kleid tragen. Der Stoff dĂŒnn und rau vom wiederholten Waschen. Die Farbe hat ihr Strahlen verloren, schafft es aber dennoch das Leuchten in denen Augen hervorzuheben.

Ich bilde mir gerne ein, deine Augen geerbt zu haben. Irgendetwas Sichtbares von dir an mir zu tragen. Etwas, das allen sagt, dass wir zusammengehören. Doch waren deine Augen ein unverkennbares Blau-Grau. Meine starren mir GrĂŒn-Grau entgegen. Ich trete etwas nĂ€her an den Spiegel heran, untersuche mit verzweifelter Hingabe mein Gesicht nach deinen Merkmalen ab. Weder deine buschigen Augenbrauen noch deine markante Nase kann ich erkennen. Vielleicht die Oberlippe, aber auch das ist mehr Wunschdenken als eine Tatsache. HĂ€tte ich doch bloß deinen Ausdruck! Deine StĂ€rke in meinem Gesicht. Ich könnte sie gerade gut gebrauchen.

Ich trage dieses Bild von dir in meinem Kopf. Trage es stets bei mir. Basierend nicht etwa auf Erinnerungen, sondern auf einem oft gezeigten Foto. Du blickst nicht direkt in die Kamera, scheinst den Fotografen gar nicht erst zu bemerken. Du trĂ€gst dieses hellblaue SchĂŒrzenkleid. Mehr SchĂŒrze als Kleid. Bedruckt mit einem Muster, an das ich mich nicht mehr erinnern kann. Waren es Blumen? Vögel? Vielleicht aber auch einfach nur wahllose geometrische Gebilde. Die Zeit hatte auch sie unkenntlich gewaschen.

Ich wĂŒnschte, ich könnte mich an deinen Blick erinnern. Zu gerne wĂŒrde ich ihn auf meiner Haut spĂŒren. Noch lieber wĂŒrde ich ihn lesen. Ihn aufsaugen. Ihn erwidern.

EnttĂ€uscht wende ich mich von meinem Spiegelbild ab. Das bloße Auge kann keine Ähnlichkeit zwischen uns feststellen. FĂŒr das bloße Auge mögen wir sogar Fremde sein. Ich schlucke den Gedanken hinunter, schaffe es aber nicht ohne ihn mir vorher ungewollt auf der Zunge zergehen zu lassen. Bitter. Verbittert. Im Abgang mit viel Fantasie beinahe zartbitter.

© Martina Braunegger 2022-10-08

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