Oma

Noah Garbe

von Noah Garbe

Story

Die Hand holte aus und fuhr auf sie herab, holte aus, fuhr auf sie herab, holte aus, fuhr auf sie herab. Immer wieder, Tag für Tag. Jahr für Jahr.

Irgendwann begann Sie die Zeichen zu erkennen, wann es wiedereinmal so weit war. Erst versteckte sie sich, lief weg zu Freundinnen, die ihr Unterschlupf boten. Die Meisten von ihnen wussten auch, was es heißt geschlagen zu werden. Man wurde so erzogen, dass die Hand Grenzen aufzeigte. Man fürchtete sich vor ihr.

An diesem Abend verpasste sie die Gelegenheit zu fliehen und ihre Mutter kam auf sie zu, der Vater nur noch im Hintergrund am Poltern. Die Augen ihrer Mutter waren zu schlitzen verengt, sie erkannte keine Menschlichkeit mehr in Ihnen. In diesem. Wie jedes Mal schwor sie sich ihren Kindern so etwas niemals anzutun und bereitete sich dann auf den Aufschlag ihrer Hand vor. Ihre Mutter holte aus – nahm diesmal nicht einmal ihre Ringe ab – und fing an zu schreien, sie sei schlimm, schlimmer als alles, was sie je erlebt habe. << Du bist eine Enttäuschung für die Familie, für mich. Denk mal darüber nach was du uns antust mit deinem benehmen? >>

Aber was hatte sie eigentlich getan, sie wusste es nicht. Niemand wusste je warum.

Der Schmerz war höllisch als die Hand ihrer Mutter ihr Gesicht traf. Ihr wurde für einen kurzen Moment schwarz vor Augen.

Wie aus der Ferne schrie, ihre Mutter << Hol den SCHEIß Hocker leg dich rüber heute versohle ich dir den SCHEIß Arsch! >>. Mitten im Satz verwandelte sich ihre Mutter in ihren Vater und sie wusste, was sie tun musste.

Sie ging zum Kamin, da wo der Hocker stand, den ihr Vater immer als Fußschemel nutzte. Dann griff sie sich die Eisenstange, die eigentlich für die Holzscheite im Kamin gedacht waren, und rannte damit auf ihren Vater zu und schlug ihn. Wo sie traf, wusste sie nicht, sie wusste lediglich, dass sie getroffen hatte. Ihr Vater entsetzt und außerstande etwas zu tun sackte zu Boden. Sie nutzte den Moment (drehte sich nicht um, um zu sehen, wie groß der Schaden war, dem sie ihn zugefügt hatte) und rannte geradewegs auf die Haustür zu. Durch sie hindurch und hinter sich zuschlagend lief sie. Sie lief und lief und hörte erst bei einer ihrer Freundinnen auf zu laufen.

Sie klopfte und schlug die Augen auf. Im Krankenhaus fand sie sich wieder. Die leeren Sandwichpackungen lagen auf dem Tisch. Ihr Mann döste auf einem Stuhl und ließ leise Schnarchgeräusche entweichen, ihre Enkeltochter hatte Kopfhörer im Ohr und die Augen geschlossen, ihr Enkelsohn malte irgendwas vor sich hin und sie ergriff die Hand ihres schlafenden Mannes und küsste sie.

© Noah Garbe 2023-08-29

Genres
Romane & Erzählungen