Oma

Louisa Weber

von Louisa Weber

Story

Oma, du warst immer da und daran kann ich mich erinnern.
Wenn ich mich nach der Schule die letzten Meter den kleinen Weg am Spielplatz entlang nach Hause schleppte, war es der Geruch in der Luft, der verriet, dass du mir gleich die Tür öffnen würdest. Du würdest mir zulächeln, dir die Hände an der Schürze abreiben und mich von dem vollgepackten, quadratischen Rucksack befreien, der fast genauso groß und schwer war wie ich selbst. Dann würdest du die Herdplatte abdrehen und das Essen auf den gedeckten Tisch stellen, damit alles fertig war, wenn ich vom Händewaschen zurück ins Wohnzimmer gerannt kam. Gurkensalat und Bratkartoffeln, extra braun und knusprig. Die mochte ich am liebsten. Früher habe ich darüber nicht nachgedacht, aber jetzt frage ich mich, wie du es geschafft hast, mit zwei Händen gleichzeitig Stapel voller Wäsche zu bügeln, Geschirr wegzuspülen, abzutrocknen und einzuräumen, und mir irgendwo dazwischen, Satz für Satz, noch ein Diktat vorzulesen. Ich weiß noch, wie ich immer versucht habe, zu verstecken, was ich da aufschrieb, weil ich nicht wollte, dass du mitliest. Zu sehr liebte ich das Kribbeln in mir, wenn ich wusste, dass du später beim Drüberlesen keinen Fehler finden würdest. »Alles richtig! Schon wieder!«, würdest du mich mit fassungsloser Stimme loben. Ja, ich mochte es, dich zu beeindrucken. Ich mochte das Strahlen in deinen Augen und das warme Gefühl. Du hast immer so lustig gestöhnt und gesagt »Das gibt es doch nicht!«, wenn ich dich wieder einmal herausgeworfen hatte bei Mensch-ärgere-Dich-Nicht. Wenn deine Beine nicht schnell genug waren beim Federballspielen, und meine kleinen Hände ruhiger als deine beim Holzklotzrausziehen.
Wenn ich zu krank war, um in die Schule zu gehen, habe ich bei dir geschlafen. Auf deiner Couch lagen dann immer schon Kissen, die wollige Decke und der Kuschelhase. Von der Glasplatte deines Fernsehtisches war nicht mehr viel zu sehen, denn die hattest du bestückt mit kleinen Schälchen voll mit Trauben und Apfelspalten, Leibniz-Butterkeksen (die mit der Tierform), Salzstangen, einem großen Glas Apfelschorle und dazu Kamillentee mit einem Löffel Honig. »Du musst jetzt ganz viel trinken! Das ist wichtig, damit du schnell wieder fit wirst.«, hast du immer gesagt. Vor dem Ins-Bett-Gehen haben wir oft zusammen »Wer wird Millionär?« geschaut und mitgeraten. Danach hast du mir ein Kirschkernsäckchen gebracht. Ich mochte diesen holzigen Geruch und das Geräusch, das es macht. Jeden Abend hast du das große Märchenbuch der Gebrüder Grimm aus dem Schrank genommen und ich durfte mir aussuchen, was du mir schließlich vorlast.
Ich durfte eintauchen in diese Traumwelt, die du vor meine Augen maltest. Meine Beine lagen ruhig unter der Decke. Aber in echt rannten sie durch rauschende Wälder und über sieben Berge, vorbei an plätschernden Bächen, umwucherten Schlössern und blühenden Feldern. Meine Finger zeichneten Kreise in die Decke. Aber in echt verwandelten sie Stroh zu Gold und bahnten den Weg durch eine Dornenhecke. Meine Stirn war rot und fiebrig, aber in echt war sie weiß wie Schnee. Meine Augen waren zu, aber durch dich konnte ich es sehen.
Oma, du warst immer da und daran werde ich mich erinnern. Und jetzt, wenn alles dunkel ist, schüttest du Sterne vom Himmel.


© Louisa Weber 2024-09-05

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Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll
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