von Brigitte Böck
Meine Oma war die Schwester meiner Oma, der Mutter meiner Mutter. Meine Oma Frieda starb, als meine Mutter ein Jahr alt war und ihre Schwester Else nahm sie, selbst 18 Jahre alt, zu sich. Ihre 3 Brüder besuchten die Schule, sie als Mädchen nicht und blieb ihr Leben lang Analphabetin. Mit 15 Jahren arbeitete sie 10 Stunden täglich in einer Fabrik und pflegte meine kranke Uroma, die bettlägerig war.
Meine Mutter war tagsüber meist sich selbst überlassen , bis auf das, was Uroma notdürftig für sie tun konnte. So verbrachte meine Mutti eine einsame Kindheit, wenig versorgt, immer ärmlich und mit Hunger und verschloss alles in sich. Uroma verstarb 1931, nun besuchte meine Mutter die Schule, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Während dieser Zeit verliebte sich Else in einen verheirateten Mann, der im Haus wohnte, der erste Mann in ihrem Leben und ihre Gefühle blühten auf. Diese Liebe hielt 3 Jahre, bis die Ehefrau dahinter kam und ihren untreuen Mann vergiftete. Meine Mutter erzählte, dass Else sich von diesem Zeitpunkt an total veränderte, keine Gefühle mehr zuließ, weder Freude, noch Zärtlichkeit, nicht einmal Angst, was sich noch zeigen sollte.
!939 verliebte sich meine Mutter in meinen Vater und noch wohnhaft bei Oma. Sie wollte heiraten, aber Oma verweigerte die Zustimmung. Meine Eltern kamen auf die Idee, eine Heiratsanzeige für Oma aufzugeben, sie selbst konnte ja nicht antworten. Die Liebesbriefe schrieben meine Eltern. Es meldete sich ein Glaser, 50 Jahre alt, er war Witwer. Mit viel Überredung willigte Oma ein, denn sie hatte gelernt, ihre Pflicht zu tun, den Franz zu versorgen und in seiner Glaserei zu helfen. Else bekam mit über 40 Jahren noch zwei Mädchen, dann starb Franz, sie war wieder mit zwei kleinen Kindern allein
Meine Oma war zwar gefühlsmäßig nicht mehr zu erreichen, aber sie hatte ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, das an den Instinkt eine Muttertieres erinnerte. Wir wohnten im selben Haus in einer eigenen Wohnung, die Mutter und wir 4 Kinder. Oma ging immer Wasser von der Pumpe holen , wenn Fliegeralarm war, dann brauchte sie nicht an zustehen. Sie trug uns in die Luftschutzkeller, ihre Kinder und uns und zauberte aus Mehl, Kartoffelschalen und geklautem Gemüse das notwendigste Essen. Ohne sie hätten wir nicht überlebt, unsere Mutter war depressiv, ängstlich und weinte, wenn sie hätte handeln müssen.
!949 zogen wir nach Westberlin und Vater eröffnete einen Tante Emma Laden. Else kam mehrmals die Woche, um meine Mutter zu unterstützen und unsere Wäsche im Waschkessel auf dem Boden zu waschen. Es gab ständig Streit zwischen meinem Vater und ihr, sie griff meinen Vater mit Fäusten an, wenn er uns schlug, sie selbst war nur 1.50 m groß, das veränderte mein Frauenbild.
Nach dem Mauerbau zog Oma als Rentnerin zu uns, denn Mutter war inzwischen geschieden und sehr krank. Bis zu Mutters Tod 1972 lebte sie bei uns , sie starb mit 95 Jahren in einer kleinen Einzimmer Wohnung mit Ofenheizung, Was für ein Leben???
© Brigitte Böck 2021-10-16