von MISERANDVS
Ich schweige lange, als Mutti ausgesprochen hat. Sehr lange. “Bist du noch da?”, fragt sie. “Ja.”, sage ich leise. “Du musst dich darum auch gar nicht kümmern. Sumsi wird das übernehmen. Sie hat gemeint, sie wüsste schon, wen sie da anrufen wird.” “Tja.”, sage ich: “Dann muss das wohl so sein.” Das Telefonat endet heut rascher als gewöhnlich.
Gedankenverloren lenke ich meinen Wagen über die Autobahn nachhause. Ich lächle, und ich weine. Abwechselnd. So viele Erinnerungen an Oma und Opa, die sich in meinem Herzen liebesverwoben haben. 20 Jahre ist das nun her, dass ich – damals grad achtzehn – meinen Opa auf seinem letzten Weg begleiten musste, weil Vati nicht da war. Oma ging ein paar Jahre vor ihm. Mutti hat schon Recht, wenn sie sagt, dass es für sie inzwischen zu weit zu fahren ist. Anderthalb Stunden immerhin, dafür, eine Kerze anzuzünden und ein Gesteck hinzulegen. Und von Wien bis Stadl… eine kleine Weltreise für mich. Darüber hinaus, seit Vati tot ist, geht sowieso niemand mehr an das Grab meiner Großeltern. Selbst Vati war Jahre nicht mehr dort, weil er gesundheitlich nicht in der Lage dazu war. Mutti meint, man müsse auch so aufpassen, denn, wenn man sich nicht um das Grab kümmerte, es pflegte… Die Leute zerrissen sich ja auch so schnell das Maul über einen. Jetzt also, weil die neue Vorschreibung ansteht, wäre es grad passend, dass man das Grab aufließe. Oma und Opa müssen also nun endgültig weg.
Mutti und Sumsi haben sich offenbar schon Gedanken gemacht, wie man das am billigsten machen kann. Einer mit einem Bagger soll alles wegreißen. Und mit etwas Glück könne man vielleicht den Stein noch “vertscheppern” an den Steinmetz. Aber eher nicht. Gebrauchte Steine kauft keiner; mein Schwager in spe hat das schon gegoogelt. Wie mich diese Diskussionen um’s Geld immer anwidern! Leichenfledderei in meinen Augen. Vielleicht hat Sumsi deswegen kein Wort darüber verloren, und Mutti stellt mich mehr oder weniger vor die fertige Entscheidung.
Oma und Opa sind mir heut Abend ganz nah. Ich heule. Weil ich im Herzen ihre Stimmen höre, dass ich das nicht zulassen soll, dass man sie … entsorgt. Das letzte Bisschen Erinnerung an sie auf dieser Welt. Kein Zweifel: Das gibt wieder einen Albtraum.
Opa war der erste, den ich bestatten lassen musste. Dann folgte Vati. Und zuletzt hab ich Lydia auf ihrem letzten Weg begleitet. Ich fühl mich langsam wie der scheiß Undertaker. Der Tod ist in meinem Leben so präsent. Ich find gar keinen Zugang mehr zum Leben. Nicht, dass ich das groß wollte.
Zum Glück hab ich das alles für mich schon bestimmt. “Wenn ich den Käfer mach, rollt mich irgendwo einen Abhang runter!”, hab ich gesagt. Ich will kein Grab haben. Ich will keine Besuche. Ich will meine Ruhe haben, wenn’s soweit ist.
Ich sollte nochmal hinfahren. Ein Licht bringen. Oma und Opa noch einmal sagen, wie lieb ich sie hab, und wie dankbar ich bin, dass sie mir so liebevoll geholfen haben, der zu werden, der ich bin. Ein Vaterunser noch sprechen, bevor der Bagger kommt…
© MISERANDVS 2022-02-21